Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
Vom Netzwerk:
erschafft daraus große Werke!«
    Henri war, als müsste er gleich weinen, wenn er noch länger hier stehen blieb. Erneut bedankte er sich bei Renoir, verneigte sich tief und bat, ihn zu entschuldigen, er müsse zu einer Verabredung, was frei erfunden war, doch Renoir packte seinen Arm.
    » Man muss sie alle lieben!«, sagte Renoir. » Das ist das Geheimnis, junger Mann. Man muss sie alle lieben.« Der Maler ließ Henris Arm los und zuckte mit den Schultern. » Denn wenn die Bilder scheiße sind, hat man sie wenigstens alle geliebt.«
    » Man muss sie alle lieben«, wiederholte Henri lächelnd. » Ja, Monsieur. Das will ich tun.«
    Und er hatte versucht und versuchte immer noch, genau das in seinen Bildern auszudrücken, doch wenn die Distanz zu seinen Motiven auch nicht von Verachtung getrieben war wie bei Degas, so doch von Selbstzweifeln. Er liebte sie für ihre Menschlichkeit, ihre vollkommene Unvollkommenheit, denn die hatten alle gemeinsam, auch mit ihm. Nur eine hatte er wirklich geliebt, vielleicht die Einzige, die genauso unvollkommen war wie er. Er fand sie in der dritten Wäscherei, die er im Marais besuchte.
    Der Besitzer der Wäscherei war ein liederlicher, hohlwangiger Mann, der aussah, als wäre er irgendwann einmal aufgeknüpft und dann wiederbelebt worden. Gerade schimpfte er mit einem Botenjungen, als Henri eintrat.
    » Pardon, Monsieur, ich bin Toulouse-Lautrec, der Maler. Ich suche eine Frau, die für mich vor Jahren Modell gesessen hat und zu der ich den Kontakt verloren habe. Arbeitet hier eine Mademoiselle Carmen Gaudin?«
    » Wer will das wissen?«
    » Verzeiht, ich ahnte nicht, dass Ihr sowohl taub als auch ein Witzbold seid. Ich bin– wie schon vor zehn Sekunden– Graf Henri Raymond Marie de Toulouse-Lautrec-Monfa und suche eine gewisse Carmen Gaudin.« Henri stellte fest, dass die Detektivarbeit nicht mit seiner Verfassung harmonierte, da er sich mit Leuten auseinandersetzen musste, die absonderlich oder dumm waren, und das gänzlich ohne die beruhigende Wirkung des Alkohols.
    » Es ist mir egal, ob du einen Titel und einen hübschen Namen hast. Hier gibt es keine Carmen«, sagte der liederliche Mann. » Und jetzt verpiss dich, du Zwerg.«
    » Nun denn«, sagte Henri. Für gewöhnlich weichte sein Titel solcherart Widerstand auf. » Dann werde ich mein Anliegen andernorts vortragen und sehe mich gezwungen, die Ermordung eines Wäschereibesitzers in Auftrag zu geben.« In Zeiten wie diesen wünschte Henri, er besäße die Haltung seines Vaters, der– umnachtet, wie er war– doch mit großem Pomp auftrat und keinen Moment zögerte, seinen Spazierstock auf den Tresen zu schlagen und neunhundert Jahre aristokratischer Autorität auf den erstbesten Diener herniederregnen zu lassen, der so unklug war, ihm zu missfallen. Henri hingegen ließ seine leere Drohung fallen und hinkte davon.
    Als er schon an der Tür war, hörte er, dass eine Frau ihn rief. Er drehte sich um und sah sie durch den Vorhang aus dem Hinterzimmer kommen
    » Ich bin Carmen Gaudin«, sagte sie.
    » Carmen!« Beim bloßen Anblick ihrer ungewöhnlich roten Haare, zu einem wirren chignon hochgesteckt, mit zwei langen geschwungenen Strähnen, die ihr Gesicht umrahmten, schlug ihm das Herz bis zum Hals, und benommen vor Freude kehrte er an den Tresen zurück.
    » Carmen, ma chère, wie geht es dir?«
    Verdutzt sah sie ihn an. » Verzeihen Sie, Monsieur, aber kennen wir uns?«
    Henri sah, dass ihr Erstaunen echt war und offenbar auch ansteckend, denn er staunte nicht minder. » Natürlich kennst du mich. Die vielen Bilder. Unsere Abende? Ich bin’s, Henri, ma chère. Vor drei Jahren?«
    » Tut mir leid«, sagte sie.
    » Und jetzt gehen Sie«, sagte der liederliche Mann. » Sie hat zu tun.«
    Streng sah Carmen ihren Brotherrn an. » Moment!« Zu Henri sagte sie: » Monsieur, vielleicht sollten wir kurz vor die Tür treten.«
    Am liebsten hätte er sie geküsst. Sie in die Arme geschlossen. Sie mitgenommen und ihr zu Hause etwas gekocht. Ihre Gabe, stark und zerbrechlich zugleich zu sein, war unverändert, und das weckte etwas in ihm, das er gewöhnlich verdrängte. Sie mit nach Hause nehmen, mit ihr essen und Wein trinken, still über traurige Dinge lachen, sie lieben und in ihren Armen einschlafen– das wollte er am liebsten tun. Dann aufwachen und die süße Melancholie auf Leinwand bannen.
    » Bitte, Mademoiselle«, sagte er und hielt ihr die Tür auf. » Nach Ihnen.«
    Auf dem Bürgersteig trat sie eilig in den Eingang

Weitere Kostenlose Bücher