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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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eines Nachbarhauses, von der Wäscherei nicht einzusehen, und wandte sich ihm zu.
    » Monsieur, vor drei Jahren war ich sehr krank. Ich wohnte auf dem Montmartre und arbeitete am Place Pigalle, aber ich kann mich an nichts davon erinnern. Ich habe alles vergessen. Der Doktor meinte, das Fieber hätte mein Gehirn angegriffen. Meine Schwester hat mich mit zu sich nach Hause genommen und wieder gesund gepflegt, aber von der Zeit davor weiß ich so gut wie nichts mehr. Vielleicht sind wir uns begegnet, aber es tut mir leid, ich kenne Sie nicht. Sie sagen, ich hätte Ihnen Modell gesessen? Sind Sie Maler?«
    Henri spürte, wie sein Gesicht ganz taub wurde, als hätte man ihn geschlagen, und der Schmerz brannte. Sie erkannte ihn tatsächlich nicht. » Wir standen uns sehr nah, Mademoiselle.«
    » Befreundet?«, fragte sie. » Wir waren befreundet, Monsieur?«
    » Mehr als befreundet, Carmen. Viele Abende, viele Nächte haben wir zusammen verbracht.«
    Erschrocken hob sie ihre Hand zum Mund. » Ein Liebespaar? Wir waren doch kein Liebespaar…«
    Henri suchte in ihrer Miene einen Anflug von Täuschung, den Schimmer eines Erkennens, der Scham, der Heiterkeit, fand aber nichts.
    » Nein, Mademoiselle«, sagte er, und die Worte schmerzten ihn, als würde ihm ein Zahn gezogen. » Wir haben zusammen gearbeitet. Wir waren mehr als nur befreundet. Das Modell ist dem Künstler mehr als eine Freundin.«
    Das schien sie zu beruhigen. » Und ich war Ihr Modell?«
    » Das beste, mit dem ich je gearbeitet habe. Ich könnte Ihnen die Bilder zeigen.« Doch schon als er dies sagte, wusste er, dass er es keineswegs konnte. Nur einige wenige Bilder waren geblieben. Drei Stück hatte er noch. Und doch erinnerte er sich oder meinte, sich zu erinnern, dass damals ein gutes Dutzend entstanden war. Er hatte einen bestimmten Akt vor Augen und wusste noch genau, wie widerwillig sie posierte, aber er konnte sich nicht erinnern, das Bild verkauft zu haben, und ganz sicher besaß er es nicht mehr. » Vielleicht könnten Sie zu mir ins Atelier kommen. Vielleicht könnte ich ein paar Skizzen von Ihnen machen, und vielleicht kehrt Ihre Erinnerung dann zurück, wenn Sie die Bilder sehen.«
    Sie schüttelte den Kopf und betrachtete dabei ihre Schuhe. » Nein, Monsieur, ich könnte nie Modell sitzen. Ich kann nicht glauben, dass ich je Modell gesessen haben soll. Ich bin so unscheinbar.«
    » Du bist schön«, sagte er. Er meinte es so. Er sah es. Er hatte es auf Leinwand gebannt.
    Da trat der Wäschereibesitzer auf die Straße hinaus. » Carmen! Es ist mir völlig einerlei, ob du arbeiten oder mit einem Zwerg durchbrennen willst, aber falls du diese Stelle behalten möchtest, solltest du wieder an die Arbeit gehen, und zwar sofort.«
    Sie wandte sich von ihm ab. » Ich muss gehen, Monsieur. Danke für Ihr Angebot, aber diese Zeit liegt hinter mir. Vielleicht ist es ganz gut, dass ich mich nicht erinnere.«
    » Aber…« Er sah ihr nach, wie sie an ihrem Lohnherrn vorbei in die Wäscherei hastete. Der Mann knurrte Henri an, dann schloss er die Tür hinter sich.
    Toulouse-Lautrec stieg in seine wartende Droschke.
    » Zur nächsten Wäscherei, Monsieur?«, fragte der Kutscher.
    » Nein, fahren Sie mich zum Bordell an der Rue d’Amboise im Neunten. Und nicht so schnell um die Ecken. Ich möchte meinen Cognac nicht verschütten.«

13
    Die Frau im Schuppen
    M ère Lessard hatte noch niemals wirklich Gewalt gegen einen anderen Menschen angewendet. Da sie auf dem Montmartre lebte, wo sich die Bohemiens, die Arbeiter und die Bourgeoisie in den Tanzsälen und Cafés mischten, hatte sie schon manchen Kampf miterlebt und Schnitte und Prellungen versorgt. Und während des Preußenkrieges hatte sie nicht nur den Beschuss der Stadt erduldet und den Verwundeten geholfen, sondern sie hatte auch die Aufstände nach dem Krieg erlebt, als die Kommunarden die Kanonen aus der Kirche von Saint-Pierre holten, die Regierung stürzten und dann an einer Mauer des Père Lachaise massakriert wurden. Sicher hatte sie stets angedeutet und sogar damit gedroht, dass sie gewalttätig werden konnte, und ihre Familie und die meisten Künstler auf dem Hügel waren mehr oder weniger davon überzeugt, dass sie jeden Moment Amok laufen und sie alle töten könnte wie eine wütende Bärin. Sie war stolz auf diesen Ruf und hatte lange daran gearbeitet. Doch Juliette eine crêpe -Pfanne vor die Stirn zu schlagen, war ihr erster echter Gewaltakt, und sie empfand ihn als zutiefst

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