Verflixtes Blau!
Grafiker.«
» Das habe ich gehört«, sagte Henri. » Ich freue mich darauf, mir Euer Werk anzusehen. Doch nun zu Lucien. Man sagte mir, er sei wach?«
» Seit einer Stunde etwa«, erklärte Gachet.
» Dann wird er sich erholen?«
» So scheint es. Er ist sehr schwach. Dehydriert.«
Henri nahm den Hut ab und wischte mit einem Taschentuch über seine Stirn. » Gott sei Dank. Ich habe versucht, ihn zu retten, konnte ihn jedoch nicht davon überzeugen, dass er sich in Gefahr befand.«
Pissarro, der das Bild betrachtete und versuchte, Henris abscheulichen Gestank zu ignorieren, sagte: » Ihn retten? Wovor?«
» Vor ihr«, sagte Henri und wies zu dem Bild hin.
» Gefahr ist keineswegs das Erste, was mir einfällt, wenn ich sie betrachte«, sagte Gachet.
» Nicht vor ihr allein«, sagte Toulouse-Lautrec. » Auch vor dem Farbenmann.«
Nun starrten sowohl Gachet als auch Pissarro den kleinwüchsigen Maler an.
» Sie sind ein Paar«, sagte Lautrec.
» Vincent erwähnte einen Farbenmann, kurz bevor er starb«, sagte Gachet. » Ich dachte, er spräche im Delirium.«
» Vincent kannte ihn«, sagte Henri. » Ein ganz bestimmter Farbenmann. Klein, braun, sieht aus wie abgebrochen.«
» Und dieses Mädchen, Luciens Modell, steht mit ihm in Verbindung?«, fragte Pissarro.
» Sie leben zusammen in Batignolles«, sagte Henri.
Pissarro warf Gachet einen Blick zu. » Glaubst du, Lucien ist kräftig genug, dass er sprechen kann?«
Régine fütterte Lucien mit Brühe und ein wenig Brot, und allmählich bekam er wieder Farbe im Gesicht. Madame Lessard brachte eine Schüssel herein und rasierte ihn mit einer Klinge, während Pissarro und Dr. Gachet ihr dabei zusahen. Als sie ging, schloss Dr. Gachet die Tür und setzte sich auf den Hocker neben Luciens Bett. Pissarro und Toulouse-Lautrec standen daneben.
Lucien sah jeden an, dann verzog er das Gesicht. » Gütiger Gott, Henri, kommt dieser Gestank von dir?«
» Ich wollte sofort herkommen, als ich hörte, dass du wieder bei Bewusstsein bist, aber die Mädchen bestanden darauf, mich vorher noch zu baden. Eine Woche habe ich für dich gewacht, mein Freund.«
» Man wacht über jemanden, und zwar nicht zehn Blocks entfernt, mit einem Haufen Huren, umnebelt von Absinth und Opium.«
» Jeder trauert auf seine Weise, Lucien. Und angesichts der Tatsache, dass du leben wirst, scheint mir meine Methode doch eine gewisse therapeutische Wirkung zu zeigen. Allerdings will ich mich gern dem Urteil des braven Doktors beugen.« Henri sah Gachet über seinen pince-nez hinweg an.
» Nein, ich glaube nicht, dass das der Fall ist«, sagte der Doktor.
» Dann bitte ich um Verzeihung, Lucien. Du wirst doch nicht leben.«
Gachet suchte nach Worten. » Das habe ich damit keineswegs gemeint…«
» Wenn nicht, darf ich dann dein neues Bild haben? Es ist ein Meisterwerk.«
» Es ist noch nicht fertig«, sagte Lucien.
» Sollten wir besser gehen?«, fragte Pissarro den Doktor, deutete auf sich selbst und Toulouse-Lautrec.
» Nein. Möglicherweise brauche ich euch beide, um Luciens Problem zu diagnostizieren.«
» Aber wir sind Maler…«
» Und daher zu nichts nütze«, sagte Lautrec.
Der Doktor hob einen Finger. » Ihr werdet es sehen.« Zu seinem Patienten sagte er: » Lucien, als du aufgewacht bist, hast du als Erstes nach Minette gefragt. Du sprachst von › dem Blau‹ und hast gefragt, ob es sie geholt habe. Was meintest du damit?«
Lucien versuchte nachzudenken, doch in seinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Er erinnerte sich an London und daran, die Turners und die Venus von Velázquez gesehen zu haben, aber er war noch nie in London. Alle waren sich dessen sicher, außer ihm. Sie sagten, er sei tagelang in seinem Atelier gewesen, bis man ihn fand, und niemand hatte ihn herauskommen sehen.
» Ich weiß nicht«, sagte Lucien. » Vielleicht war es ein Traum. Ich kann es nicht sagen. Ich habe einfach gespürt, dass Minette nicht mehr da war. Als wäre es eben erst passiert, und irgendetwas hätte sie mir genommen.«
» Du hast gefragt, ob das Blau sie geholt hat«, sagte der Doktor.
Lucien sah Gachets Augen, die groß und immer etwas traurig waren, als sähe er den Kummer im Herzen aller Dinge.
» Das klingt wirr, oder?«, fragte Lucien.
» Der Junge ist müde«, sagte Pissarro. » Lassen wir ihm seine Ruhe.«
» Keine Sorge«, sagte Gachet. » Aber du erinnerst dich nicht, oder? Du weißt nicht mehr, dass Minette krank war?«
» Nein«, sagte Lucien. Er
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