Verflixtes Blau!
der vorn im Laden hinter dem Tresen stand, und Régine hockte nun darauf, neben dem schweren Marmortisch, auf dem meist das Gebäck gemacht wurde. » Maman hat sich immer über Papa lustig gemacht und ihn wegen seiner Malerfreunde aufgezogen, und sogar der kleine Lucien hat ihm damals gesagt, er sollte malen, aber Papa wollte nicht. Die beiden hatten sich ihre eigene, kleine Religion um die Künstler vom Montmartre geschneidert– als wären die Maler heilige Männer. Der heilige Monet von Le Havre, der heilige Cézanne von Aix, der heilige Pissarro von Auvers, der heilige Renoir von Paris– manchmal kam es einem so vor, als fütterten wir sämtliche Maler auf dem Hügel durch.
Schließlich, als ich neunzehn Jahre alt war, geschah etwas. Eines Morgens kam ich die Treppe herunter, und Papa saß genau hier am Gebäcktisch, mit einem offenen Farbkasten auf den Knien, und betrachtete die Farben wie heilige Reliquien. Lucien stand neben ihm, und die beiden wirkten wie in Trance. Sie hatten noch nicht einmal die Öfen angeheizt, und wir wollten bald öffnen. Ich weiß nicht, woher der Farbenkasten kam. Es war noch zu früh, als dass die beiden schon unten in Père Tanguys Laden am Pigalle gewesen sein konnten, und am Abend vorher war der Kasten noch nicht da gewesen. Lucien sah mich an und sagte: › Papa wird Maler.‹
Wochenlang sprachen sie danach kein Wort mehr davon, aber Papa und Lucien räumten den Lagerschuppen leer, und jeden Tag, wenn das Brot aus dem Ofen kam, verschwand Papa im Schuppen und blieb dort bis zum Abendessen. Bald übernahm Lucien das Backen, damit Papa in Ruhe malen konnte. Eines Tages kam Papa in die Bäckerei gestürmt und schimpfte, er bräuchte Licht, denn ohne Licht gäbe es keine Farben.«
» Hat der Schuppen deshalb ein Oberlicht?«, fragte Gilles, der das Gespräch gern auf Zimmermannsthemen lenken wollte, von denen er etwas verstand.
» Ja! Ja!«, sagte Régine. » Maman wurde so wütend, dass ich schon dachte, sie würde ihn rauswerfen. Aber je mehr sie sich beklagte, desto öfter schloss sich Papa in seinem neuen Atelier ein, und der arme Lucien stand genau dazwischen. Er führte die Bäckerei, ging zur Schule, nahm seine Malstunden in Monsieur Renoirs Atelier um die Ecke– zu viel für einen kleinen Jungen. Marie und ich hätten ihm mehr zur Hand gehen sollen, aber Maman hatte die Familie in zwei Lager geteilt, nicht in Männer und Frauen, wie man annehmen könnte, sondern in Künstler und normale Menschen. Wir durften Lucien gerade so viel helfen, dass die Bäckerei lief, aber nicht mehr. Genau wie unser Vater war auch er ein fremdes Wesen, und bis er wieder zu Sinnen kam, sollten wir ihn auch als solches behandeln.«
» Ich dachte, so denkt sie über alle Männer«, sagte Gilles und empfand Mitleid für Lucien und Père Lessard, der für den Zimmermann fast etwas Mythisches hatte. Mère Lessard sprach von ihm abwechselnd mit Verachtung und Bewunderung. Eben war er noch so rein und heroisch, dass kein Mensch je an ihn heranreichen konnte, im nächsten Moment war er ein nutzloser, verantwortungsloser Träumer, ein Beispiel dafür, wie tief man fallen konnte.
Régine tätschelte den Arm ihres Mannes. » Was du auch tust, du darfst Maman niemals erzählen, was ich dir jetzt erzählen werde.«
» Niemals«, sagte Gilles.
» Maman war zu Besuch bei Grandmère, schon seit Tagen. Da tauchte eines Tages eine Frau auf. Eine junge Frau, rothaarig, glaube ich. Ich habe sie nicht richtig sehen können, nur ganz kurz, aber ich habe gesehen, wie Papa sie durch die Bäckerei hinaus in sein Atelier geführt hat. Sie gingen hinein und schlossen ab. Papa kam an diesem Abend nicht zum Essen heraus, und er reagierte auch nicht, als wir nach ihm gerufen haben. Am nächsten Morgen hat er nicht mal nach Lucien gesehen, als mein Bruder das Brot backte.
Am Abend darauf war Marie bereit, den Schuppen niederzubrennen, so wütend war sie, aber ich habe ihr gesagt, wir könnten nicht sicher sein. Vielleicht malte er sie nur. Schließlich schäkerte er nicht einmal– wie alle anderen Ladenbesitzer auf dem Hügel– mit den Mädchen, die in die Bäckerei kamen. Marie meinte, sie wollte trotzdem nachsehen.
Es war mitten im Winter, und es schneite seit zwei Tagen. Aus dem Schlafzimmerfenster sahen wir Rauch von Papas Ofen, aber kaum mehr als das. Marie stieg in ihre Winterstiefel, kletterte auf das Dach hinaus, um einen Blick durchs Oberlicht zu werfen. Ich habe versucht, sie aufzuhalten, sie wieder
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