Verflixtes Blau!
lieber gar nicht finden.«
» Selbstverständlich möchte ich sie finden, Henri. Ohne sie bin ich ein Wrack.«
» Ich glaube, du romantisierst deine Zeit mir ihr. Du warst auch schon ein Wrack, als ihr noch zusammen wart.«
» Ich habe gemalt.«
» Das ist nicht der Punkt.«
» Das ist immer der Punkt.«
» Sie wohnte mit dem Farbenmann zusammen. Daran besteht kein Zweifel.«
» Willst du damit sagen, sie war seine heimliche Geliebte? Das kann nicht sein. Wer lässt zu, dass seine Geliebte so viel Zeit bei einem anderen Mann verbringt?«
» Ich sage, die beiden haben ein Arrangement.«
» Dann ist er ihr Zuhälter? Meinst du das? Willst du mir sagen, die Frau, die ich liebe, ist eine Hure?«
» Aus deinem Mund klingt es so schmutzig. Mit einigen Huren bin ich immerhin sehr eng befreundet.«
» Darum geht es nicht. Sie ist keine Hure, er ist nicht ihr Zuhälter. Du hältst jeden für einen Zuhälter. Deshalb verlierst du das Spiel auch immer.«
Henri spielte gern etwas, das er » Ludenraten« nannte, am liebsten im Ballsaal des Moulin de la Galette. Dann saß er mit Freunden (hin und wieder war auch Lucien dabei) am Rande des überfüllten Tanzsaales, und sie versuchten zu erraten, welche Männer an den Tischen Zuhälter waren, die sich um ihre Mädchen kümmerten, und welche nur einfache Arbeiter oder Strolche, die sich an ein hübsches Ding heranmachten. Sie schlossen Wetten ab, dann kam einer der Türsteher des Moulin herüber und bestätigte ihren Verdacht oder auch nicht. Henri verlor fast immer.
» Vielleicht nicht ihr Zuhälter«, sagte Henri. » Ich weiß nicht, was er für sie ist, aber du solltest dich fragen, was wäre, wenn du Juliette findest und sie dich nicht mehr kennt.«
» Bitte?«
» Lucien, du weißt, dass ich mit dem Farbenmann gesprochen habe, nachdem ich ihr zu der gemeinsamen Wohnung der beiden gefolgt war.«
» Das weiß ich, Henri. Du warst der Meinung, dass er gelogen hat, was Vincent anging.«
» Ich bin mir ganz sicher, dass er in Bezug auf Vincent gelogen hat, aber ich habe dir damals nicht erzählt, dass ich mich auch nach Carmen erkundigt habe.«
» Carmen? Wieso?«
» Als ich ihn draußen vor der Toten Ratte sah, an dem Tag, an dem du Juliette wiederbegegnet bist, da fiel mir ein, dass ich ihn zusammen mit Carmen gesehen hatte.«
» Nein!«
» Du weißt, dass ich mich kaum noch an meine Zeit mit Carmen erinnern konnte.«
» Absinth«, sagte Lucien. » Deshalb haben wir dich zu deiner Mutter geschickt. Es war zu deinem eigenen Besten.«
» Verdammt noch mal, Lucien, es war nicht der Absinth. Du hast Dr. Gachet gehört. Renoir, Monet, alle haben diese Gedächtnislücken, diese Halluzinationen, seit Jahren schon. Du hattest sie selbst, und du hast keinen Absinth getrunken, oder? Es ist die Farbe. Irgendetwas in der Farbe. Und es wirkt sich nicht nur auf den Maler aus. Ich habe Carmen gefunden, Lucien. Ich habe sie gefunden, aber sie hatte keine Ahnung, wer ich bin. Sie schob es auf ein Fieber. Sie wäre fast gestorben, nachdem ich damals weg war.«
Lucien spürte, wie seine Wangen angesichts dieser Enthüllung ganz taub wurden, sowohl wegen dem, was der Farbenmann Henri angetan hatte, als auch wegen dem, was es für ihn und Juliette bedeuten mochte. Er, Maurice Guibert und Émile Bernard hatten Henri damals mit Gewalt aus seinem Atelier geholt, ihn gebadet und angezogen, dann hatten Guibert und Bernard ihn zum Schloss seiner Mutter gebracht und waren bei ihm geblieben, bis er ausgenüchtert war.
» Du warst dabei, dich umzubringen, Henri.«
» Ich habe gemalt.«
» Wir haben versucht, dir gute Freunde zu sein…«
» Sie kennt mich nicht mehr, Lucien«, brach es aus Lautrec hervor. » Sie kann sich nicht erinnern, mir je begegnet zu sein.« Er trat seine Zigarre auf dem Boden aus (wie es Bruant nicht nur erlaubte, sondern erwartete), dann nahm er sein pince-nez ab und tat, als würde er das Glas mit seiner Krawatte putzen. » Das habe ich versucht, dir zu sagen. Es wäre möglich, dass Juliette dich nicht mehr erkennt.«
» Das wird sie bestimmt. Wir gehen auf der Stelle nach Batignolles. Wir retten sie, befreien sie von dem Joch, das der Farbenmann ihr umgelegt hat. Sie wird bestimmt verstehen, warum meine Mutter sie mit einer crêpe -Pfanne niedergeschlagen hat. Du wirst schon sehen.«
Henri schüttelte den Kopf. » Meinst du denn, ich wäre nicht noch mal hingegangen? Du warst eine Woche ohne Bewusstsein, Lucien, und wir waren sicher, dass es an ihr lag.
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