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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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noch ein blaues Tuch hinzufügen wolle, doch Henri bedeutete ihm mit einer Geste, dass er still sein sollte.
    Theo holte seine Brille aus der Weste und setzte sie auf, dann ging er in die Hocke und begutachtete das Bild aus der Nähe. Er nahm die Brille ab und trat wieder einen Schritt zurück. Zum ersten Mal sah Lucien im jüngeren Bruder dieselbe Intensität, die er von Vincent kannte. Oft wirkte Theo penibel, manchmal wie ein Buchhalter, taxierend, bemessend, berechnend, jetzt jedoch zeigte sich dieselbe brennende Konzentration, die Vincent ausgezeichnet hatte. Wie ein besessener Prophet. Henri hatte gescherzt, bei Feierlichkeiten sei an Theos Seite stets ein Platz frei, weil der Holländer mit seinem Blick die Menschen vertrieb.
    Theos Schweigen machte Lucien schon ganz zappelig, da schüttelte der Galerist schließlich den Kopf und lächelte.
    » Lucien, ich weiß nicht, wo ich es hinhängen soll. Wie du siehst, sind alle Wände voll. Selbst wenn ich sämtliche Drucke abnehmen würde… es ist so groß.«
    » Sie wollen es aufhängen?«, fragte Lucien. Renoirs Lob hatte ihn nicht wirklich erreicht, und nun wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass dieses Bild mehr als nur eine Erinnerung an Juliette war.
    » Selbstverständlich will ich es aufhängen«, sagte Theo. Er reichte Lucien die Hand, der einschlug und sich durchschütteln ließ. » Vincent hat oft genug gesagt, jemand müsste für die Figurenmalerei dasselbe tun, was Monet für die Landschaft getan hat, nur war nie jemand dazu bereit. Ich denke, du bist es.«
    » Ach, komm schon, Theo«, sagte Henri. » Es ist ein Akt, keine Revolution.«
    Theo lächelte Toulouse-Lautrec an. » Du bist nur neidisch.«
    » Unsinn, dieses Bild ist Mist«, sagte Henri.
    » Es ist kein Mist«, widersprach Lucien, dem es ernstlich schwerfiel herauszufinden, was Henri eigentlich vorhatte. Gewiss war es kein Meisterwerk, aber es war auch kein Mist.
    » Es ist kein Mist«, bestätigte van Gogh.
    » Danke, Theo«, sagte Lucien. » Ihre Meinung bedeutet mir sehr viel, was auch der Grund ist, weshalb ich Ihnen das Bild unvollendet bringe. Ich dachte daran, noch ein Tuch zu malen…«
    » Hast du inzwischen eigentlich alle Bilder von Vincent hier?«, fiel Henri ihm ins Wort.
    Theo stutzte bei der Erwähnung seines Bruders. » Ja, ich habe sie alle hier in Paris, wenn auch natürlich nicht aufgehängt.«
    » Waren unter seinen letzten Bildern Figurenstudien? Irgendwelche Bilder von Frauen?«
    » Ja, eines von Madame Gachet, drei– glaube ich– von dem jungen Mädchen, dessen Eltern der Gasthof in Auvers gehört, in dem Vincent gewohnt hat, und eines von der Wirtin selbst. Wieso?«
    » Wenn ein Künstler Qualen leidet, ist oftmals eine Frau im Spiel.«
    Überraschenderweise lächelte Theo van Gogh darüber. » Das geht nicht nur Künstlern so, Henri. Nein, in einem seiner Briefe aus Arles erwähnte Vincent beiläufig eine Frau, aber nur so, wie man von einem hübschen Mädchen spricht, das man im Park gesehen hat. Ich würde sagen, es klang eher wehmütig. Nicht so, als hätte er sie gekannt. Meist schrieb er über die Malerei. Du kennst ihn… kanntest ihn. Er hat immer nur von seiner Malerei gesprochen.«
    » War da etwas an seiner Malerei, das ihm möglicherweise… das ihm Kummer bereitet hat?«
    » Solchen Kummer, dass er sich darüber das Leben nahm, meinst du?« Das war der Moment, in dem Theo nun auch den Rest dessen verlor, was von seiner würdevollen Beherrschung noch übrig war, und er stöhnte auf, als bekäme er keine Luft.
    » Es tut mir so leid«, sagte Lucien und legte Theo eine Hand auf die Schulter.
    Schon im nächsten Moment hatte sich van Gogh wieder in die Rolle des Buchhalters gerettet, als sprächen sie nur über ein Gemälde, nicht über den Tod seines Bruders.
    » Er sagte immer: ›Zeig sie niemandem, lass niemanden in ihre Nähe‹. Er meinte ein Bild, das er mir aus Arles geschickt hatte, aber ich habe keine Figurenbilder aus Arles bekommen.«
    » Und weißt du, wer › sie‹ war?«
    » Nein, leider nicht. Vielleicht weiß Gauguin etwas. Er war dabei, als Vincent in Arles seinen Zusammenbruch hatte. Falls eine Frau zugegen gewesen sein sollte, so hat er sie nie erwähnt.«
    » Dann war es also keine Frau…« Das schien Henri ehrlich zu erstaunen.
    » Ich weiß nicht, wieso mein Bruder sich das Leben genommen hat. Man weiß noch nicht mal, woher er den Revolver hatte.«
    » Er besaß keine eigene Waffe?«
    » Nein, und Dr. Gachet auch nicht. Nur der Wirt

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