Verflixtes Blau!
sein Lieblingsmaler, was auch erklärte, wieso Henri und Lucien die blaue Nackte am helllichten Tag in diese Bar bugsierten.
» Wenn du dir an einem Stein im Brombeertörtchen den Zahn abbrichst«, rief Lucien zurück, » dann ist das ein Gruß von ebenjenem nichtsnutzigen, namenlosen Bastard!«
» Hört, hört!«, rief Bruant, als spräche er vor vollem Haus und nicht nur vor einer gelangweilten Barfrau und vier betrunkenen Schlachtern, die in einer dunklen Ecke über ihrem Bier dösten. » Mich dünkt, da habe ich Lucien Lessard wohl nicht erkannt, den nichtsnutzigen Bäcker und Gelegenheitsmaler.«
Bruant war nicht übermäßig unfreundlich zu Lucien. Im Mirliton herrschte ein rauer Ton. Damit hatte Bruant Berühmtheit erlangt. Kaufleute und Anwälte der feinen Pariser Gesellschaft kamen hierher, um auf groben Bänken zu hocken, sich mit verarmten Arbeitern an dreckigen Tischen zu drängen und sich von Aristide Bruant, dem anarchistischen Helden und Bänkelsänger der Geknechteten, unverblümt als Urheber für die gesellschaftlichen Missstände beschimpfen zu lassen. Es war der letzte Schrei.
Bruant schlenderte über die Tanzfläche des Cabarets und schnappte sich im Vorübergehen seine Gitarre, die an einen Tisch gelehnt stand.
Lucien stellte sein Ende des Gemäldes ab, wandte sich Bruant zu und sagte: » Wenn du auch nur einen Akkord auf diesem Ding anschlägst, du blökendes Rind, dann schlag ich dich damit tot und zerteile deine Leiche mit den Saiten.« Lucien Lessard mochte bei den größten Malern Frankreichs in die Schule gegangen sein, doch er hatte auch die Lektionen des besten Drohkulissendrechslers nicht vergessen, den es auf dem Hügel gab.
Bruant grinste, hob die Gitarre hoch und tat, als spielte er. » Wünsche werden gern entgegengenommen…«
Lucien grinste zurück. » Zwei Bier mit Stille.«
» Soll sein«, sagte Bruant. Mit fließender Bewegung kehrte er um, wie choreographiert, legte die Gitarre auf einen leeren Tisch und ging zum Tresen.
Zwei Minuten später saß Bruant mit ihnen in einer Ecke, und alle drei betrachteten die blaue Nackte, die an den Nachbartisch gelehnt stand.
» Lass sie mich aufhängen«, sagte Bruant. » Eine Menge wichtiger Leute werden sie hier sehen, Lucien. Ich hänge sie hoch über den Tresen, damit gar nicht erst einer auf die Idee kommt, sie anzufassen. Wahrscheinlich trauen sie sich nicht, das Bild zu kaufen, aus Angst vor ihren Frauen, aber sie sehen es und kennen deinen Namen.«
» Du musst das Bild zeigen, Lucien«, sagte Henri. » Irgendwann könnten wir vielleicht eine Ausstellung zusammenstellen, mit Hilfe von Theo van Gogh, aber das braucht Zeit. Ich kann mich im Moment darum nicht kümmern. Ich muss nach Brüssel und mit den Zwanzig ausstellen, und ich habe versprochen, neue Plakate fürs Chat Noir und das Moulin Rouge zu drucken.«
» Und er schuldet mir noch eine Karikatur für Le Mirliton«, sagte Bruant. In unregelmäßigen Abständen veröffentlichte er eine Kunstzeitschrift unter dem Namen seines Cabarets, und alle jungen Maler und Literaten auf dem Montmartre trugen dazu bei.
» Na gut«, sagte Lucien. » Aber ich weiß nicht, was ich für das Bild verlangen soll.«
» Es sollte unverkäuflich sein«, sagte Henri.
» Dem möchte ich zustimmen«, sagte Bruant. » Das ist die Macht der Koketterie, non? Bring sie dazu, es zu wollen, aber gib es ihnen nicht. Man muss sie ködern.«
» Aber ich muss ein Bild verkaufen.« Denn darin lag das Dilemma des Künstlers: Für schnöden Mammon zu malen, korrumpierte die Prinzipien, doch ein Künstler zu sein, der nichts verkaufte, bedeutete, als Künstler unbekannt zu bleiben.
» Wenn du sie heute verkaufen könntest, kannst du es auch morgen«, sagte Henri. » Die Bäckerei wirft genug ab, dass du davon leben kannst.«
» Gut, gut«, sagte Lucien mit erhobenen Händen. » Hängt sie auf. Aber wenn jemand ein Angebot abgibt, möchte ich es erfahren.«
» Ausgezeichnet«, sagte Bruant und sprang von seinem Platz auf. » Ich gehe mir eine Leiter borgen. Du kannst das Hängen beaufsichtigen.«
Als der Sänger fort war, zündete Henri eine Zigarre an und beugte sich in die Rauchwolke, die über dem Tisch hing.
» Bevor er wiederkommt, Lucien. Ich muss dir was sagen… dich warnen.«
» Tu nicht so ominös, Henri. Das steht dir nicht.«
» Es ist nur wegen Juliette… ich will dir wohl helfen, sie zu finden, wenn das dein Wunsch ist… aber ich muss dich warnen… vielleicht möchtest du sie
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