Verflixtes Blau!
Bewegungen nieder.
Lucien und Henri setzten sich nicht, sondern starrten ihn nur an. Zwar saß Le Professeur, doch saß er nicht auf etwas. Er hatte mitten in der Luft eine sitzende Position eingenommen wie einer dieser lästigen Straßenkünstler, denen man überall in Paris begegnete und die stets gegen den Wind zu laufen, imaginäre Stufen zu erklimmen oder in einer unsichtbaren Kiste zu sitzen schienen, aus der nur eine Spende von zehn Centimes oder ein gendarme mit seinem Knüppel sie befreien konnte.
» Nun setzen Sie sich schon«, sagte Le Professeur.
» Aber, Monsieur?«, sagte Lautrec und gestikulierte wie ein Zauberer, der einen frisch halbierten Assistenten präsentierte. » Sie haben…«
» Ich habe es ganz bequem«, sagte Bastard. Er griff in seine Tasche, legte einen Schalter um, und mit einem Zischen und Klicken richtete er sich auf, wobei sein Kopf nur knapp einen Deckenbalken verfehlte. Er zog ein Hosenbein hoch und legte ein Messinggestänge frei, in dem Kolben befestigt waren. » Was halten Sie davon?«
» Sie sind ziemlich groß«, sagte Henri.
» Die habe ich für Sie gebaut«, sagte der Professeur. » Für mich sind sie zu groß. Wir müssen sie Ihnen erst noch anpassen, aber Sie werden begeistert sein, wie gut die Stelzen funktionieren.«
» Wofür?«, fragte Henri.
» Für die mühelose Fortbewegung natürlich. Ich nenne sie › Lokomotoren‹ oder › Dampfstelzen‹.«
Wieder entwich zischend heiße Luft, und Lucien meinte, etwas Verbranntes zu riechen.
» Helfen Sie mir, sie abzuschnallen. Ich zeige sie Ihnen.«
Unter Anweisung des Professeurs ließen sie ihn zuerst auf den Boden herab, bis er mit gespreizten Beinen dasaß, dann halfen sie ihm, Lederriemen und Schnallen zu lösen, bis er sich aus seiner Hose winden konnte, sodass die Dampfstelzen auf dem Boden lagen und der Professeur während seines Vortrags halb nackt auf Socken herumlief.
» Mir war bei Ihrem Besuch aufgefallen, dass Ihnen das Gehen einige Mühe und Schmerzen bereitet. Angesichts Ihrer blaublütigen Abstammung kam mir der Gedanke, dieses Problem könnte möglicherweise daher rühren, dass Ihre Eltern allzu nah verwandt waren.«
» Und dass ich als kleiner Junge vom Pferd gefallen bin und mir beide Beine gebrochen habe«, sagte Henri, den es amüsierte, wie geschwollen der Professeur daherredete, obwohl er im Frack ohne Hosen dastand. (Unter dem Frack– im Rücken– war ein kleiner Apparat versteckt gewesen, der die Dampfstelzen antrieb.)
» Ganz recht«, sagte der Professeur ungeduldig und stellte die Dampfstelzen auf die Füße, ein blankes Bronzeskelett ( sans Torso), dem die Hose heruntergerutscht war. » Da Sie auf dem Montmartre wohnen und das Treppensteigen Ihnen offensichtlich Schmerzen bereitet, wollte ich Ihre Qualen lindern. Erst dachte ich an Räder, doch bald schon wurde mir klar, dass Räder nicht nur in Gesellschaft Verdacht erregen könnten, sondern auf Treppen gänzlich nutzlos sind. Das erste Laufgestell habe ich mit Tesla-Motoren ausgestattet, doch die Batterie, die nötig gewesen wäre, die Maschine zu betreiben, wäre so schwer gewesen, dass die Beine nicht auch noch Sie hätten tragen können.«
» Also wäre es möglich gewesen, dass meine Beine ohne mich einen trinken gehen?«
» Durchaus«, knurrte der Professeur. » Bald wurde deutlich, dass nur ein Verbrennungsmotor genügend Energie freisetzt, um Sie zu transportieren. Nur eine solche Maschine ist kompakt genug, dass man sie auch verbergen kann. Dampf war die Lösung. Ich habe diese Stelzen so entworfen, dass Ihre Beine allein durch die Gehbewegung eine Reihe von Schaltern und Ventilen aktivieren, die die Kolben antreiben. Dafür müssen Sie kaum mehr Kraft aufwenden, als würden Sie Ihre Beine unter Wasser bewegen.«
» Verstehe«, sagte Henri. » Nun muss ich Sie etwas fragen, bevor Sie fortfahren, denn es ist wichtig: Haben Sie vielleicht Brandy oder Cognac im Haus?«
» Brennt hier was?«, fragte Lucien.
» Ach, die Boiler stecken in den Schuhen«, sagte der Professeur. » Sie verbrennen auf kleiner Flamme zerriebene Kohle, aber leider geht dabei etwas Hitze verloren. Wenn man zu lange an einer Stelle stehen bleibt, läuft man Gefahr, den Teppich anzusengen.«
Henri gab sich alle Mühe, seine Belustigung zu verbergen.
» Anfangs wusste ich nicht, wie ich Ihre Füße vor der Hitze schützen sollte, dann dachte ich: Natürlich, Monsieur Toulouse-Lautrec hätte sicher nichts dagegen, etwas größer zu sein. Wir
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