Verflixtes Wolfsgeheul (Verflixte Bücher) (German Edition)
Seine Augen sind von dunklen Schatten umrahmt, so, als habe er wie ich die Nacht durchgearbeitet. Ich denke gerade noch daran, meinen Kopf nach oben zu strecken. Damit kannst du nämlich ziemlich effektiv deine Schwäche vertuschen.(1) Aber als ich mich neben Großvater auf einem Besucherstuhl niederlasse, könnte ich doch ein Kissen gebrauchen.
Der Raum ist nur mit wenigen Bildern geschmückt, einige erkenne ich aus dem Buch wieder, das ich vorhin erst gelesen habe. Durch die fünf Fenster will die finstere Nacht hereinstoßen, nur die Lichttafeln an den Wänden können es gerade noch verhindern. Auf den Tischen stehen zusätzliche Lampen, die mich an leuchtende Tonkrüge erinnern.
Wir müssen nicht lange warten, da geht die Tür auf und herein kommen vierzehn dunkel gekleidete Männer und eine Frau. Mari huscht ebenfalls ins Zimmer. Sie trägt eine Karaffe mit einer grünlichen Flüssigkeit aus gepressten Takkabeablättern; das ist der hiesige Kaffee. Sie schenkt jedem Ratsmitglied einen Becher ein, dann kommt sie auch bei Großvater und mir vorbei. Als sie mich fragend ansieht, schüttele ich den Kopf.
„Bring unserer Nadine einen schönen heißen Blausamentee“, flüstert Großvater. „Sonst überleben wir das Ende nicht mehr!“
Als das Mädchen davonläuft, steht Mali’tora auf und begrüßt die Ratsmitglieder. Sein Gesicht ist ernst, das Lächeln, das ich bei meiner Ankunft noch um seine Augen gesehen habe, ist verschwunden. Auch die anderen Mitglieder scheinen nicht guter Laune zu sein, manche hatten ihre Stirn schon beim Eintreten in Falten gezogen.
„Ich möchte zuerst die Tagesordnung vorlesen“, beginnt Mali’tora. „Bitte korrigiert mich, wenn ich etwas vergessen habe. Zuallererst besprechen wir die Lage in den Großstädten und der Umgebung. Zum Zweiten: Sieben unserer Spione sind aufgeflogen. Sie werden in Kerkern festgehalten und gefoltert. Drittens: Wir müssen unsere Ziele neu stecken. Und vierter Punkt: unsere Vorgehensweise, um zum Ziel zu gelangen. Als Fünftes: die Vergrößerung unserer Stadt und Erweiterung unseres Landes. Im Laufe des Vormittags soll ein Bote eintreffen, der eine Nachricht aus Labaido bringt. Dann werden wir unsere Diskussionen natürlich unterbrechen.“
Die Ratsmitglieder atmen tief durch. Ich spüre, wie eine Spannung unter den Menschen herrscht, als läge eine tickende Bombe auf dem Tisch, die bei nur einem falschen Wort hochgehen könnte.
Da hebt die einzige Frau im Raum ihre Hand.
„Tora, ich möchte wissen, warum das Mädchen dort sitzt!“
Sie deutet auf mich und ich zucke zusammen. Langsam hebe ich meine Nase – du weißt schon.
Mali’tora winkt ab, um das Gemurmel im Keim zu ersticken.
„Das Mädchen heißt Nadine – oder auch Nar’dhina. Sie kommt aus Labaido und ist die Tochter Hatar’ali und Salei’halas.“
Das hätte er wohl besser nicht gesagt …
„Du hast den Feind in unsere Mitte geholt? Die Tochter Hatar’alis?“, rufen einige der Männer zornig aus.
Doch Tora hebt beschwichtigend seine Hand. Großvaters runzlige Finger legen sich beruhigend auf meinen Arm; ich habe nicht bemerkt, dass ich zittere.
Mali’tora nimmt eine geöffnete Schatulle vom Tisch und zeigt den Ratsmitgliedern den Inhalt. „Sie hat 37 Jahre auf der Erde gelebt und jetzt den Trigonischen Kristall zu uns gebracht. Damit hat sie ein Recht, hier in unserer Mitte zu sitzen!“
Er sagt das, als hätte ich ihn freiwillig gebracht, und ich klappe auch schon meinen Mund auf, um etwas zu entgegnen, da aber geht ein erstauntes Raunen durch die Reihen. Als ich das grüne Leuchten sehe, schließe ich für einen Moment die Augen.(2)
„Ich möchte zum ersten Tagesordnungspunkt kommen, denn wie ihr wisst, ist unsere Zeit sehr knapp“, drängt Mali’tora und schließt die Schatulle wieder. „Feling’sis, bitte beginne!“
Mali’toras Entscheidung wird nicht infrage gestellt, ich höre nur ein leises „Sie gehört in den Kerker!“ von einem Typ mit einer Glatze.(3)
Ein Mann in einem blauen Overall erhebt sich. „Ich möchte nun die neuesten Informationen über die Lage in den Großstädten bekannt geben. Zu dem Chaos, das sich rund um den Regierungssitz auf Labaido ausgebreitet hat, sind zunehmend Plünderungen und Überfälle gekommen. Die Menschen haben Angst, sie flüchten. Doch egal, wohin sie gehen, entweder verhungern sie oder sie werden wieder vertrieben. Familien werden auseinandergerissen, Kinder werden zu Waisen. Wer schwach ist, muss sterben.
Weitere Kostenlose Bücher