Verflucht, gehängt und doch lebendig
aus. »Wie sollen wir das denn anstellen?«
»Indem Sie sich erinnern, Mr. Fletcher.«
»An ihn?«
»Sicher?«
»Was wollen Sie denn wissen?«
Auch ich holte mir einen Stuhl heran und setzte mich, während Bill am Fenster stehenblieb, wo er ab und zu nach draußen in den dünnen Regen schaute. »Ich möchte eigentlich alles von Ihnen wissen, falls Sie sich erinnern. Ich will erfahren, wie er sich in der Zelle verhalten hat. Ob er aufsässig war. Ob er sich wie ein normaler Gefangener verhielt. Was er für Gewohnheiten hatte.«
Dean Fletcher hob seine Brauen. »Was soll ich dazu sagen?« murmelte er. »Ich meine, daß er sich nicht normal verhalten hat.«
»Sehr schön.«
»Das meinen Sie. Ich sehe das anders. Er war ganz ruhig, wissen Sie? So verdammt still. Er hat nicht getobt. Er hat nicht versucht, aus seiner Zelle zu fliehen. Er hat uns nicht angegriffen, wie es andere taten. Er verhielt sich wie jemand, der unter Drogen steht. Schlaf- oder Beruhigungsmittel oder so.«
»Hat er gesprochen?«
»Sie meinen mit uns?«
»Ja. Mit wem sonst?«
»Kaum.«
»Erinnern Sie sich denn an ein Gespräch?«
»Nein, nicht sofort. Aber er war immer der Meinung, daß sein Tod nicht das Ende ist.«
»Das ist immerhin etwas«, meldete sich Bill.
Fletcher winkte schon ärgerlich ab. »Unsinn! Wer von uns hat daran schon geglaubt?« Er schielte auf seine Ginflasche. »Keiner hat es für bare Münze genommen, denn ich habe andere erlebt, die ähnlichen Scheiß geredet haben. Das liegt wohl in der Angst, die alle spürten, wenn die Stunde näher rückte.«
»Aber Darkman hatte keine Angst.«
»Nein, Mr. Conolly. Er war da. Er war ein Stück Eis. Er war so kalt. Und dabei war er ein Mensch, obwohl ich das auch nicht glauben kann. Jetzt erst recht nicht.«
»Hat er nie von seiner Herkunft gesprochen oder von seiner Abstammung?« wollte ich wissen.
»Nie. Ich habe auch nicht gefragt. Ich bekam keine Gerichtsunterlagen zu lesen. Ich verfluche noch jetzt die Eltern und vor allen Dingen die Mutter, die ihn geboren hat.«
»Wenn es die gab…«
»Wie meinen Sie das denn?«
Bill lächelte kantig. »Es kann durchaus sein, daß er kein Mensch ist.«
»Was ist er dann?«
»Ein Geschöpf.«
»Hä, das verstehe ich nicht. Ein Geschöpf kann doch alles sein, denke ich.«
»Ja. Ein Dämon, ein künstlicher Mensch, wie immer Sie wollen, Mr. Fletcher.«
Er nickte vor sich hin, und sein Gesicht sah aus, als wäre er dabei, über etwas nachzudenken. »Sie haben mich gefragt, an was ich mich erinnere, und ich habe Ihnen gesagt, daß er sich so ruhig verhalten hat und eiskalt war. Das geschah alles, während er noch lebte.«
Bill horchte ebenso auf wie ich. »Und später?« fragte ich dann. »Nach seinem Tod?«
Fletcher rieb seine Nase. »Wenn ich das noch genau wüßte. Ich war ja nicht dabei, aber komisch ist es schon gewesen.«
»Das heißt, Sie haben ihn nicht vom Galgen geholt?«
»Nein, nicht ich. Wir hatten dafür unsere Leute. Es meldeten sich sogar Gefangene, denn sie bekamen dann eine Vergünstigung. Das war zwar nicht erlaubt, aber es wurde geduldet. Und bei Darkman war es ebenso. Da gab es für die Abholer sogar noch mehr. Und auch der Direktor war dabei. Auch seltsam.«
»Was passierte genau?«
»Ich kenne das nur von anderen, die nicht auf ihren Heimatfriedhöfen bestattet werden wollten. Man verscharrte sie auf dem alten Totenacker auf dem Gelände.«
»Auch Darkman?«
»Klar, Mr. Conolly, auch ihn. Der Direktor war auch dabei, ebenso einige meiner Kollegen. Ich hatte frei, aber ich habe später mit den Leuten gesprochen, und sie haben sich über ein Phänomen gewundert.« Er lachte krächzend auf. »Jetzt erst fällt es mir ein. Sie wunderten sich darüber, daß der Sarg so leicht war. Er hatte praktisch nur sein Eigengewicht. Stellen Sie sich das mal vor.«
»Es würde bedeuten, daß Darkman verschwunden ist.«
»Ja, genau.«
»Wann?« fragte ich.
»In die Kiste wurde er schon gelegt. Man hat ihn auch nicht aus den Augen gelassen. Als man sie in dem Loch versenkte, da war sie plötzlich so leicht.« Fletcher schüttelte den Kopf. »Verdammt noch mal, jetzt muß ich einen Schluck haben!« Er griff zur Flasche, entkorkte sie und nahm einen kräftigen Zug. »Hören Sie«, sagte er, als er die Hasche wieder wegstellte, »das, was ich Ihnen sagte, erklärt doch auch das Verschwinden in der Zelle.«
»Wahrscheinlich«, gab Bill zu. Er schaute mich an. »Wir haben es mit jemandem zu tun, der uns auch noch im
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