Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verflucht sei Dostojewski

Verflucht sei Dostojewski

Titel: Verflucht sei Dostojewski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atiq Rahimi
Vom Netzwerk:
machst du?‹
    Während ich mir einen beruhigenden Beruf ausdachte, wandte sich einer seiner Kumpane, der Einarmige, grinsend an den dritten: ›He, Osman, unser tawarisch Moharamollah ist unter die Ermittlungsbeamten gegangen!‹
    ›Und weißt du auch, warum Allah-o-Al-Alim , der Allwissende, die Katze ohne Flügel erschaffen hat?‹, fragte Osman, der Hinkende.
    ›Weil sie sonst sämtliche Vögel des Himmels aufgefressen hätte!‹, antwortete der Einarmige. ›Gelobt sei Allah, der Wachsame, der aus Moharamollah keinen geflügelten Mudschaheddin gemacht hat, sonst …‹
    Sie brachen in Gelächter aus. Dein Vater wandte sich ihnen verärgert zu: ›Wartet nur, bis sie kommen, diese geflügelten und bärtigen Katzen, wenn sie ihn euch reinstecken, dann vergeht euch das Lachen.‹ Nach dieser Warnung wurden seine zwei Kumpane immer ausgelassener. Der Einarmige beugte sich zu ihm und sagte: ›Reg dich nicht auf! Wir lachen doch nur, weil er uns bereits im Arsch steckt!‹ Bei dieser Antwort prustete das ganze Teehaus los, auch Moharamollah; nur der Wirt nicht, der sich verängstigt einschaltete: ›So beruhigt euch doch, irgendwann werden sie auch hier auftauchen und die tschaichana und die saqichana schließen.‹
    ›Wegnehmen werden sie sie dir, deine tschaichana ! Aber wenn es etwas gibt, an dem es hier dank unserer Muslimbrüder, unserer bradar , nicht fehlt, dann an Haschisch, saqichana und gefickten Ärschen!‹, erwiderte der Einarmige und wischte sich die Tränen weg.
    Dies hatte einen neuerlichen Heiterkeitsausbruch zur Folge, und der Wirt verlor die Geduld. Er ging an seinen Tresen, kehrte mit einer Schale Wasser zurück und schüttete es den beiden lachenden Invaliden über den Kopf. Sie erschraken, und ihr Lachen erstarb. ›Wir bezahlen, um zu rauchen, und du verdirbst uns unseren Rausch!‹, sagte der Einarmige und stand auf, während er leise vor sich hin schimpfte. Klatschnass verließen die beiden das Teehaus.
    Dein Vater blieb da, mit finsterer Miene. Er drehte sich zu mir, der ich ihn fröhlich ansah. Diese Freude verstand er natürlich nicht. Er konnte nicht wissen, dass ich mich nicht über die Scherze seiner Kumpane freute, sondern über seine Anwesenheit, über diese so heftig ersehnte Begegnung mit jemandem aus deiner Familie, über ein Lebenszeichen von dir!
    ›Mach dich nicht über uns lustig, junger Mann. Es ist das Schicksal, das uns lächerlich gemacht hat, das Schicksal!‹, sagte er ernst und bedächtig. Dann, nach einer kurzen Pause, sprach er weiter: ›Das Schicksal … Es heißt doch, es ist das Schicksal, das den Spiegel früher oder später zwingt, sich mit Asche zu bescheiden. Weißt du, was das heißt?‹ Er wartete meine Antwort nicht ab. ›Du weißt doch, dass ein Spiegel beschichtetes Glas ist. Und wenn die Zeit die Beschichtung zerstört, dann bedeckt man den Spiegel mit Asche! Ja, das Schicksal ist es, das über alles Asche legt … Wie alt bist du?‹
    ›Siebenundzwanzig.‹
    ›Ich bin doppelt so alt … Mehr als doppelt so alt sogar … Ein würdiges Leben!‹ Sein Blick schweifte ab, dann fuhr er fort: ›Der Krieg zerstört die Würde des Menschen‹, er richtete sich auf, ›mein Herz blutet, aber ich habe kein Blut an den Händen. Meine Hände sind rein …‹ Er zeigte mir seine Handflächen. ›Ich war auch im Dschihad … aber auf meine Art …‹, er rückte näher, ›ich war lange Verwaltungsdirektor des Staatsarchivs. Es befand sich am Salang Wat, hier ganz in der Nähe … Zur Zeit der Kommunisten, der ersten, jener, die man die Khalqi nannte. Ja, damals hatten wir einen Generaldirektor, ein elender Hund, der das ganze Archiv an die Russen verkaufte. Jedes Mal, wenn ein Dokument verschwand, bekam ich Lust, ihn zu erwürgen. Er verkaufte die Geschichte unseres Landes. Verstehst du? Die Geschichte unseres Landes! Mit einem Volk ohne Geschichte kannst du alles machen, alles! Der Beweis …‹ Den Beweis blieb er mir schuldig, den ließ er mich in den Trümmern unserer Seelen suchen. ›Kurz, ich konnte nichts gegen diesen Direktor tun. Er war ein Khalqi … ‹ Er spuckte vor Verachtung aus und rief dem Wirt der tschaichana zu: ›Mussa, einen Tee für diesen …‹ Er zeigte mit dem Kopf auf mich. Ein Moment verging, als müsste er sich in Erinnerung rufen, wovon er gesprochen hatte. Ich half ihm. ›Ja, bravo … das Haschisch … es vernichtet das Gedächtnis. Nein, nicht das Haschisch, Verzeihung! … Das Schicksal … es legt Asche

Weitere Kostenlose Bücher