Verflucht sei Dostojewski
hinterlassen, ein Militär, der ihren Wert kannte. Doch dann ist er gestorben, Herzinfarkt. Nur seine Frau und seine Tochter sind noch da. Nach seinem Tod musste ich mit seiner Frau neu verhandeln … nana Alia, ein wahres Luder! Ungebildet und niederträchtig! Nicht nur, dass sie die Dokumente behalten hat, sie erhöht auch noch jeden Monat die Miete. Wir besitzen nichts mehr. Meine arme Frau hat diesem Miststück ihre Mitgift, ihren Schmuck als Pfand gegeben … Jetzt arbeitet meine Tochter bei ihr, um die Miete zu bezahlen.‹
›Suphia, da ist sie also!‹, wollte ich schreien, ich wollte aufspringen, deinem Vater um den Hals fallen. ›Was arbeitest du?‹, fragte er mich und riss mich aus meinen freudigen Gedanken: ›Wie heißt du noch mal?‹ Ich sagte ihm meinen Namen und erzählte ihm, dass ich in der Universitätsbibliothek arbeite. Nach einem Moment des Schweigens, begleitet von einem Blick voller Zärtlichkeit, stellte er fest: ›Das sieht man, dass du gebildet bist, dass du aus einer guten Familie stammst.‹ Wieder eine Pause. ›Ich habe zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Meine Tochter ist rein, unschuldig …‹ Er stand auf. ›Es ist spät geworden. Ich muss nach Hause. Sie macht sich Sorgen um mich …‹
Wir verließen das Rauchzimmer und tauchten in den tristen, staubigen Dunst der Abenddämmerung ein. Nach ein paar schweigsamen Schritten sprach dein Vater weiter, als hätte er nie damit aufgehört: ›Aber der Krieg kennt weder Reinheit noch Unschuld. Das macht mir am meisten Angst am Krieg. Das Blut und die Massaker machen mir keine Angst. Aber dass Würde und Unschuld ihren Wert verlieren, davor graut mir. Meine Tochter ist wie ihre Mutter von größter Reinheit, von größter Würde …‹ Wieder Schweigen, so lange diesmal, bis wir vor eurem Haus standen. ›Hier wohne ich!‹, sagte er und öffnete die Tür. Zitternd streckte ich die Hand aus, um mich zu verabschieden, aber er hinderte mich daran: ›Willst du nach Hause gehen? Du hast mich eingeladen, du hast mich bis hierher begleitet, und du glaubst, ich lasse dich einfach so gehen?‹ Er lud mich ein. Sobald ich einen Fuß im Innern hatte, füllte ich meine Lungen mit Luft, mit dieser von dir beseelten Luft. Ich behielt sie tief in mir drin, solange ich konnte … Ich folgte deinem Vater unter dem frühlingshaft knospenden Rebenspalier durch euren kleinen Hof. Ich fürchtete mich vor dem Augenblick unserer Begegnung und wurde immer verlegener. Mein Blick erforschte alles, untersuchte sämtliche Ecken und Winkel des Hofes, inspizierte die geschlossenen Fenster, wanderte über das Hausdach, von dem aus dein Bruder, eine Taube auf dem Arm, uns beobachtete. ›Guten Tag!‹, rief er uns zu.
›Bist du schon wieder auf dem Dach?‹
›Eine Katze hat sich hier herumgetrieben‹, antwortete dein Bruder verschmitzt. Dein Vater drehte sich zu mir um: ›Das ist Dawud, mein Sohn. Seit die Schulen geschlossen sind, kümmert er sich um meine Tauben. Ich komme nicht mehr da hoch.‹ Wir traten ins Haus. Dein Vater führte uns in einen dunklen Raum und zündete eine Kerze an; dann ging er hinaus, und ich streichelte mit dem Fuß den einzigen Kelim, der auf dem Boden lag. Ganz aufgeregt vor Verliebtheit, zögerte ich, mich auf eine der drei Matratzen zu setzen. Ich fragte mich, ob du wusstest, dass ich da war, in deinem Haus. Aber nein. Heute Abend konnte ich dich nicht sehen, meine Vielgeliebte. Nach dem Abendessen habe ich dein Haus in der Hoffnung verlassen, bald wiederzukommen.«
Ein weiterer Auszug:
»Am letzten Freitag, als ich faul im Bett lag und nach einem Vorwand suchte, zu dir zu gehen, wurde ich durch die Detonation einer Bombe, die das ganze Viertel erschütterte, brutal aus meiner Benommenheit gerissen. Panisch verließ ich das Zimmer und rannte, von einer Vorahnung erfasst, an den Ort der Explosion. Was ich sah, ließ mich erstarren. Das Teehaus war nur noch eine brennende Ruine, von der beißender Rauch aufstieg. Frauen und Männer zogen Verschüttete unter den Trümmern hervor. Ihren Worten entnahm ich, dass sich einige hatten retten können, manche aber noch eingeklemmt waren. Ich packte mit an, die Opfer zu befreien. Unter dem Schutt fand ich deinen sterbenden Vater. Ich legte ihn auf einen Karren und brachte ihn nach Hause.
Und du, du hast uns die Tür geöffnet.«
Suphia hatte Rassul mit seinem struppigen Bart nicht wiedererkannt. Er stellte sich auch nicht vor. Erst als er einen Arzt kommen ließ und
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