Verfluchte Seelen
und erbrach auch noch den kleinen Rest von ihrem Abendessen.
Als der Würgereiz endlich nachließ, spülte sie sich den Mund aus und putzte sich die Zähne. Zur Sicherheit spritzte sie sich noch ein bisschen kaltes Wasser ins Gesicht. Als sie sich mit einem Handtuch über Augen und Wangen fuhr, zitterten ihre Hände.
Im Badezimmerspiegel studierte sie ihr bleiches Spiegelbild. Tränen traten ihr in die Augen und liefen ihr über die Wangen.
Sie konnte nicht länger ignorieren, was mit ihr geschah. Schon seit Tagen hatte sie das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, aber bisher hatte sie gehofft, dass es nur die Nerven waren. Von so vielen Fremden umgeben zu sein und Emrys zu jagen war sehr stressig gewesen, andererseits … Stress führte nicht dazu, dass man Gerüche intensiver wahrnahm. Ebenso wenig bekam man davon Fieber. Keinen Appetit zu haben, mochte ja noch angehen, aber sich gleich zu übergeben …
Sie ging ins Schlafzimmer zurück, schnappte sich das Handy und wählte Darnells Nummer.
»Hey, Ami«, erklang seine fröhliche Stimme. »Du solltest dem Trainingsraum einen Besuch abstatten. Ich bin gerade dabei, Sheldon einen ordentlichen Arschtritt zu verpassen.«
»Nur in deinen Träumen«, hörte sie Sheldon im Hintergrund sagen. »Warte, hast du gesagt, dass Ami dran ist?«
Darnell lachte. »Er hat wirklich Angst vor dir. Was hast du mit ihm gemacht?«
Abgesehen davon, dass sie ihm in allen Details ausgemalt hatte, was sie ihm antun würde, wenn er Marcus’ Leben noch einmal in Gefahr brachte … nichts.
»Ich muss unbedingt mit dir reden«, sagte sie statt einer Antwort.
»Sicher«, sagte Darnell, dessen Stimme ernst wurde. »Wo bist du?«
»In unserem Schlafzimmer.« Es war in einem der beiden Ruheräume untergebracht, die ihren Bewohnern Privatsphäre verschafften.
»Bin schon unterwegs.«
Nur wenige Sekunden vergingen, ehe sich die Tür öffnete. Darnell glitt in das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er war einen Meter fünfundachtzig groß und trug die Standarduniform der Sekundanten. Das schwarze Shirt spannte über seinen breiten Schultern, und sein kahlgeschorener, brauner Kopf glänzte im Lampenlicht.
Ami warf ihr Handy auf das Bett.
Darnell brauchte nur einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen und sagte sofort: »Oh verdammt. Was ist passiert? Ist etwas nicht in Ordnung?«
Ihr nächster Atemzug verwandelte sich in ein Schluchzen. »Ich bin infiziert«, erklärte sie und brach in Tränen aus.
Wenn Darnells Gesichtsfarbe es erlaubt hätte, wäre er bleich geworden. »Was?«
»Ich bin mit dem Virus infiziert. Ich bin dabei, mich zu verwandeln«, schluchzte Ami.
Fluchend durchquerte er das Zimmer und nahm sie fest in die Arme. »Bist du sicher?«
Sie nickte.
Da sie weder eine Sterbliche noch eine
Begabte
war, wusste niemand, ob sie sich in einen Vampir oder eine Unsterbliche verwandeln würde, wenn sie einmal mit dem Virus infiziert war. Oder ob sie die Verwandlung überhaupt überleben würde.
»Weiß Marcus davon?«
Sie schüttelte den Kopf. Jetzt schluchzte sie so heftig, dass sie kaum sprechen konnte. Sie war nicht imstande, es Marcus zu sagen. Er würde sich die Schuld geben und … wenn sie starb oder sich in einen Vampir verwandelte …
Sie konnte es ihm einfach nicht sagen. Noch nicht.
Darnell lockerte seine Umarmung und tastete nach seinem Handy. »Hallo, ich bin’s. Wir haben ein Problem. Ami braucht dich im Ruheraum, sofort. Bring David mit.«
Noch nie zuvor hatte sie ihn mit einem so harten Unterton sprechen hören. Darnell besaß ein sonniges Gemüt. Es war nicht leicht, ihn wütend zu machen. Selbst Bastien schaffte das nicht: Immer wenn er es versuchte, endete es damit, dass
er
hinterher derjenige war, der sich ärgerte – weil er keinen Erfolg gehabt hatte.
Prickelnde Energie erfüllte das Zimmer. Seth und David materialisierten sich direkt vor der Schlafzimmertür. Ami musste einen Schritt nach hinten machen und den Kopf in den Nacken legen, damit sie den beiden Unsterblichen in die besorgten Augen sehen konnte.
»Was ist passiert?«, fragte Seth ohne Vorgeplänkel.
»Marcus hat Ami gebissen, und jetzt ist sie infiziert«, knurrte Darnell mit so viel Gift in der Stimme, dass es Ami die Sprache verschlug.
Seth’ Augen fingen an, in einem hellen Goldton zu leuchten, während die von David bernsteinfarben aufblitzten. Ein grollendes Geräusch wurde laut, als der Boden unter ihren Füßen, die Wände und die Zimmerdecke zu beben begannen.
»Ich bring ihn
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