Verfolgt im Mondlicht
sie Holiday noch zu erzählen hatte, wollte Kylie ihr so wenig andere Sorgen wie möglich bereiten.
Zurück im Büro schmiss Holiday ihre Handtasche aufs Sofa und sah Burnett und Kylie mit ihrem Sofort-raus-mit-der-Sprache-Blick an. Kylie fragte sich, ob Holiday nicht vielleicht bei ihrer Mom in die Lehre gegangen war, denn der Blick kam ihr sehr bekannt vor.
»Jetzt erklärt mir mal bitte einer, was hier los ist«, verlangte Holiday ungeduldig. »Ich spüre doch, dass ihr mir was verheimlicht.«
Kylie biss sich auf die Unterlippe. Burnett machte einen Schritt nach vorn, straffte die Schultern und sah Holiday mitfühlend an. Dann atmete er tief ein, als bereitete er sich darauf vor, etwas zu sagen und sah Kylie an. Sie nickte ihm aufmunternd zu. Burnett wandte sich wieder Holiday zu und sagte dann: »Kylie muss dir was sagen.«
Kylie riss erstaunt die Augen auf. Damit war es offiziell: Männer waren echt mies im Kommunizieren, besonders wenn es um Gefühlsangelegenheiten ging.
Holiday sah sofort Kylie an, und der rutschte erneut das Herz in die Hose. Es tat ihr so schrecklich leid, weil sie wusste, wie Holiday sich gleich fühlen würde. Kylie hatte in letzter Zeit zu oft etwas Ähnliches erlebt. Erst hatte sie ihre Oma verloren, dann ihren Stiefvater – auch, wenn der nicht tot war, aber es fühlte sich fast so an –, ihren Vater, Daniel, der sie nicht mehr aus dem Jenseits besuchen konnte. Dann war da noch Ellie. Kylie hatte sogar um Red getrauert.
Kylie seufzte: »Du setzt dich jetzt besser.« Die Campleiterin musterte Kylies Gesicht und las wahrscheinlich jede Emotion darin. Holiday ging um den Schreibtisch herum und ließ sich auf den Stuhl sinken. Die Federung des Stuhls quietschte – es schien das einzige Geräusch im Raum zu sein.
»Was ist los?«, fragte Holiday wieder.
Kylie hatte einen Kloß im Hals. »Ich hab es dir nicht erzählt, weil … du mir gesagt hast, dass du es nicht wissen willst. Das Gespräch über das Im-Jetzt-leben und so. Zuerst hab ich nämlich gedacht, dass du es wärst.«
Holiday lehnte sich nach vorn und klammerte sich am Schreibtisch fest. »Das verstehe ich nicht.«
»Das Gesicht des Geistes, von dem ich dir erzählt hab. Ich hab gedacht, dass du es warst. Aber … das warst nicht du.«
Holidays grüne Augen füllten sich mit Tränen, und Kylie wusste, dass Holiday sich bereits alles zusammenreimte. Burnett stellte sich hinter sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Sie ist tot?« Holidays Stimme zitterte. Tränen tropften von ihren Wimpern und liefen ihr über die Wangen. »Warum … ist sie nicht zu mir gekommen?«
Kylie wischte sich über ihre eigenen, feuchten Wangen. »Ich denke, sie hat sich geschämt.«
»Sie hat dir … davon erzählt?«
»Ja.« Kylies Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Burnett sah sie an, als fragte er sich, was sie ihm alles nicht erzählt hatte.
Trauer senkte sich über den kleinen Raum. »Was ist passiert?«, fragte Holiday schließlich. »War sie wieder in den Bergen klettern? Ich hab ihr so oft gesagt, dass das zu gefährlich ist allein.«
Kylie schüttelte den Kopf. »Es war kein Unfall.«
Holidays Gesicht war schmerzverzerrt, als sie die Wahrheit erkannte. »Sie wurde ermordet? Von wem?«
»Das wissen wir noch nicht sicher.« Burnett setzte sich auf die Kante von Holidays Schreibtisch. Der zärtliche Blick, mit dem er Holiday ansah, war herzerwärmend. Kylie hoffte nur, dass die Sache mit Blake die beiden nicht wieder auseinandertreiben würde.
»Aber Blake ist der Hauptverdächtige«, sagte Burnett.
»Blake?« Holiday atmete tief ein. »Nein, das glaube ich nicht, er …« Sie hielt inne, als wären ihr Zweifel gekommen. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und blickte Kylie dann entschlossen an. »Okay, erzähl mir ganz genau, was du weißt. Und lass ja keine Kleinigkeit aus.«
Später am Nachmittag saß Kylie allein in ihrer Hütte am Küchentisch.
Das Mittagessen war heute nicht so lustig gewesen, deshalb hatte Kylie beschlossen, das Abendessen ausfallen zu lassen. Im ganzen Speisesaal hatte es nicht eine einzige Person gegeben, die sie nicht angestarrt oder einen blöden Witz über ihr neues Gehirnmuster gemacht hatte.
Okay, das stimmte nicht ganz. Ihre Freunde hatten nicht gestarrt – oder zumindest versucht, es nicht zu tun. Jonathon und Helen hatten vorher noch nichts von ihrem Wandel mitbekommen und waren so überrascht, dass auch sie sie kurz anstarrten. Allerdings kam Jonathon gleich
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