Verfolgt im Mondlicht
danach zu ihr rüber und hieß sie in der Vampir-Gemeinschaft willkommen. Er lud sie sogar an seinen Tisch ein.
Kylie lehnte ab. Sie sah es den Gesichtern an, dass nicht alle Vampire sie wirklich dabeihaben wollten.
Als Perry in den Speisesaal kam, zuckte er kurz mit den Augenbrauen und gab ihr dann ein Daumen-hoch-Zeichen. Offensichtlich hatte er beschlossen, wegen der Sache mit dem Netz nicht sauer auf sie zu sein. Allerdings glotzten alle drei neuen Lehrer Kylie an. Irgendwie hätte sie schon gedacht, dass wenigstens die Erwachsenen bessere Manieren hatten. Aber nein, sie waren kein Stück besser als die Jugendlichen.
Aber eine Sache machte ihr das Mittagessen zumindest erträglich. Als Fredericka mit einem fiesen Grinsen auf sie zeigte und Lucas mit dem Ellenbogen anstieß, zuckte der nur mit den Schultern und sagte ungerührt: »Ja, hab davon gehört.« Dann schaut er Kylie an, nicht um zu starren, sondern um sie anzulächeln.
Dieses Lächeln mit einem spitzbübischen Zwinkern in den Augenwinkeln hatte noch eine andere Bedeutung. Kylie spürte, wie sie rot wurde. Für einen Moment war es ihr egal, dass sie der Freak war, der für die Mittagsunterhaltung sorgte. Das hielt allerdings nur ein paar Minuten vor. Dann riss wieder jemand einen blöden Witz über Kylies Muster, und ihre Stimmung sank sofort wieder auf den vorherigen Tiefststand.
So wie sie sich vorher gewünscht hatte, dass ihr Supergehör immer funktionieren könnte, so wünschte sie sich jetzt, dass sie es ausschalten könnte – und zwar für immer. Denn eigentlich wollte niemand wirklich wissen, was die Leute hinter dem Rücken über einen redeten.
Jetzt betrachtete sie abwesend ihre Hände, die sie auf dem Küchentisch gefaltet hatte. Ihr war klar, dass ihre schlechte Laune zum Teil daher rührte, dass sie Holiday hatte verletzen müssen. Kylie wollte ihr helfen, aber Holiday hatte unbedingt allein sein wollen.
Der Computer kündigte mit einem Piepton eine neue E-Mail an. Kylie sprang auf und hastete zum Computertisch, in der Hoffnung, dass ihr Großvater oder ihre Großtante sich bei ihr meldeten. Sie checkte ständig ihre Nachrichten, besonders seit ihrem Versuch, ihren Großvater per E-Mail zu kontaktieren. Allerdings war die Mail zurückgekommen – was wohl bedeutete, dass ihr Großvater die Adresse gelöscht hatte.
Sie setzte sich auf den Stuhl und hielt den Atem an, während sie das Fenster öffnete.
Die Nachricht war nicht von ihrem Großvater oder von ihrer Großtante.
Sie starrte auf die E-Mail-Adresse ihres Stiefvaters und klickte aus Versehen drauf. Dann las sie ohne es wirklich zu wollen:
Hey Mäuschen, ich freue mich schon, dich am Samstag zu sehen. Ich vermisse dich. Und ich vermisse deine Mom.
Alle die angestauten Gefühle zur Scheidung ihrer Eltern brachen auf einmal über Kylie herein. Sie sprang so schnell auf, dass der Stuhl mit der Lehne auf den Boden knallte und zerbrach. »Scheiß drauf!«, rief sie genervt. Kylie stapfte zum Kühlschrank und riss die Tür auf. Dann wartete sie darauf, dass die kalte Luft ihr Gesicht abkühlte.
Was aber nicht passierte, da sie selbst so kalt war. Sie war ein verdammter Vampir!
Sie wischte sich eine Träne von der Wange und schaute zum Computer zurück. Was, wenn ihr Stiefvater wieder anfangen würde, sie nach ihrer Mom zu fragen? Kylie wollte mit Sicherheit nicht diejenige sein, die ihm eröffnete, dass ihre Mom wieder mit Männern ausging.
Andererseits würde er es am Samstag wahrscheinlich sowieso erfahren. Sie hatte bereits eine Mail von ihrer Mom bekommen, in der sie Kylie fragte, ob es okay war, wenn ihr Typ – der Kotzbrocken, der ihre Mom nach England verschleppen und dort im Hotelzimmer vernaschen wollte – mit zum Elterntag kam.
Kylie hätte ihrer Mom um ein Haar geantwortet: Nein, verdammt, es ist nicht okay.
Aber war es fair, ihrer Mom die Tour zu vermasseln? Sollte sich Kylie nicht lieber freuen, dass ihre Mom glücklich war? Kylie wünschte, ihre Mom könnte wieder mit ihrem Stiefvater glücklich sein. Sie wünschte sich, dass alles wieder so wäre wie früher.
Hach, wie schön war es noch vor ein paar Monaten gewesen. Sie hatte gedacht, sie wäre ein normaler Mensch und hatte keinen blassen Schimmer von der Existenz von Vampiren und Werwölfen.
Sie kannte Derek noch nicht. Sie hatte keine Ahnung, dass sie Lucas je wiedersehen würde.
Sie kannte weder Della noch Miranda.
Doch plötzlich erschien ihr Kylie Galens Leben vor der Zeit im Shadow Falls Camp nicht
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