Verfolgt im Mondlicht
mal.«
Kylie holte tief Luft und erzählte Holiday vom Besuch ihres Vaters – von der Chamäleon-Sache und davon, dass er meinte, sie würden es zusammen herausfinden … bald .
Holiday sah ratlos aus. »Okay, ich glaube nicht, dass dein Dad das mit dem Zusammen-Herausfinden so gemeint hat, wie du es verstehst. In der Geisterwelt hat Zeit eine andere Bedeutung.«
Kylie dachte über Holidays Worte nach. »Ich würd dir ja gern glauben, aber … er hat das so komisch gesagt. Und er schien sich darauf zu freuen.«
Holiday schüttelte den Kopf. »Dein Dad hat dich lieb. Und ich bin mir sicher, wenn er wüsste, dass du bald sterben musst, würde er in Panik ausbrechen. Außerdem würde er es dir auf gar keinen Fall erzählen.«
Es kostete sie einiges an Überwindung, aber Kylie sprach es trotzdem aus: »Wenn ich sterben muss, sollte ich es wissen.«
»So funktioniert das aber nicht. Es gibt nur ganz wenige Leute, die von ihrem bevorstehenden Tod wissen und die Zeit dann vernünftig nutzen. Denn wenn man sich auf das Ende vorbereitet, hört man auf, für morgen zu leben. Es ist zwar wunderschön, nur im Jetzt zu leben – viele von uns machen das zu wenig –, aber es gehört nun mal zum Leben dazu, im Heute und im Morgen zu leben. Stell dir mal vor, du wüsstest, dass du nur noch sechs Monate zu leben hättest. Würdest du dann ein Projekt anfangen, das du in dieser Zeit nicht beenden könntest? Würdest du Medizin studieren, um Arzt zu werden? Würdest du ein Kind bekommen wollen, wenn du weißt, dass es ohne dich aufwachsen müsste? Die Menschen verpassen so viel, wenn sie aufhören, für morgen zu leben.«
Holidays kleine Predigt stieß bei Kylie einen neuen Gedankengang an. Ihr Geisterproblem. Sie fragte sich, wie sie es am besten angehen sollte.
»Jetzt mal zu der Eidechsen-Sache«, fuhr Holiday fort, die nichts von Kylies Gedanken ahnen konnte. »Ich habe noch nie gehört, dass es Übernatürliche gibt, die Chamäleons sind. Und obwohl ich dir am liebsten sagen würde, dass er sich getäuscht hat, frage ich mich doch …«
»Was fragst du dich?«
»Ich bin mir nicht sicher, ich kann nur …«
»Ich weiß«, meinte Kylie. »Du kannst nur raten, aber da ich gerade echt nicht weiter weiß, würde ich es trotzdem gern hören.«
»Ich wollte es dir ja sagen.« Holiday sah sie vorwurfsvoll an, als wollte sie sagen, sie sollte nicht so ungeduldig sein.
Aber Kylie hatte es satt, geduldig zu sein. Und ja, sie wusste, dass ihr Großvater Malcolm Summers am Donnerstag kommen und hoffentlich alles aufklären würde. Doch das bedeutete, dass sie noch ein paar Tage in Unwissenheit leben musste.
»Also, sag schon. Bitte«, sagte Kylie etwas ruhiger, denn ungeduldig zu sein war die eine Sache, andere Leute dafür verantwortlich zu machen, war eine andere.
Holiday atmete tief durch. »Vielleicht hat er dich als Chamäleon bezeichnet, weil dein Muster sich noch nicht zu dem entwickelt hat, was es einmal sein soll. Es verändert sich, wie ein Chamäleon seine Farbe verändert.«
»Aber er hat es mir so gesagt, als würde er mir sagen, dass ich ein Vampir oder ein Werwolf bin. Ist es möglich, dass es eine Art Übernatürlicher gibt, von denen ihr nichts wisst?«
Holiday stutzte. »Mein Gefühl sagt mir, dass es nicht sein kann. Die Geschichte der Übernatürlichen ist in Büchern dokumentiert, die so alt sind wie die Bibel. Aber … ich muss zugeben, dass ich überfragt bin. Es sieht so aus, als wäre es etwas Erbliches, da dein leiblicher Großvater und deine Großtante ihre Gehirnmuster auch in ein menschliches verwandeln konnten. Das allein ist ja schon total verrückt. Ich hab immer noch den Verdacht, dass es mit Zauberei zu tun hat …«
»Oder …« Kylie dachte über Holidays Worte nach. »Vielleicht bedeutet das mit dem Chamäleon ja, dass ich meine Art wechseln kann wie ein Chamäleon die Farbe. Ich hab vorhin schon mit Derek darüber geredet.«
Holiday schien die Möglichkeit in Betracht zu ziehen. »Aber wie soll das denn mit der DNS gehen? Man kann doch nicht mehr als einen DNS-Strang haben. Das ist unmöglich, weil Übernatürliche immer nur die DNS des dominanten Elternteils haben.«
Kylie kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Dann verändert man vielleicht nicht die Art, sondern nur das Muster. Und das ergibt ja auch Sinn, denn ein Chamäleon verwandelt sich ja auch nicht in einen Stein, sondern verändert nur die Farbe, so dass es aussieht wie ein Stein.«
Holiday runzelte die Stirn.
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