Verfolgt
allerdings auch schon ständig gekabbelt, bevor Owen auf der Bildfläche erschienen ist. Als ich klein war, hatte ich nämlich die |73| alberne Vorstellung, dass ich Dad irgendwie verrate, wenn ich mit meiner Mutter einigermaßen auskomme. Inzwischen würde ich gern besser mit ihr klarkommen, aber wir kriegen uns bei jedem Besuch wieder in die Haare.
»Devlin soll mein Brautführer sein«, sagt meine Mutter. »Ich hab ihm schon einen Anzug gekauft.«
Ich muss mich zusammennehmen, um keinen Lachkrampf zu bekommen. Mein Bruder rastet aus! Meine Mutter wirft mir im Schminkspiegel einen vielsagenden Blick zu.
»Brauchst mich gar nicht erst zu fragen, ob ich deine Brautjungfer sein will«, sage ich rasch.
»Ich hätte sowieso nicht gefragt«, kontert meine Mutter. »Ich weiß ja, dass du Nein sagst.«
Mist. Klar will ich kein rosa Rüschenkleid anziehen und so weiter, aber fragen hätte sie mich schon können. Schließlich bin ich ihre Tochter!
»Außerdem habe ich schon eine Brautjungfer.«
»Wen denn?«
»Celia Parker.« Jetzt verstehe ich, wieso sie mich nicht gefragt hat. Damit ich ihr bei der Hochzeit nicht die Schau stehle, weil ich besser aussehe als sie. Celia Parker könnte nicht mal einem Nilpferd die Schau stehlen. Sie ist uralt – mindestens vierzig –, wiegt eine Tonne und hat einen kaputten Schneidezahn, den sie dringend überkronen lassen müsste.
Als wir zu Hause ankommen, gehe ich schnurstracks die Treppe hoch in mein Zimmer und knalle die Tür zu.
|74| Nachdem ich ein paar Tage wieder »zu Hause« bin, schließe ich mich im Bad ein und betrachte mich gründlich im Spiegel. Ich habe immer noch eine Schramme am Kinn und dicke Augenringe. Ich bin blass und meine Haare sind strähnig. Ich sehe alt aus. Die ganze Zeit versuche ich schon, Dad anzurufen. Ich will ihm unbedingt erzählen, was los war, aber er geht nicht ans Handy und bei uns zu Hause geht auch keiner ran. Meine Mutter meint, er ruft bestimmt bald von selber an, aber ich mache mir Sorgen, dass ihm etwas zugestoßen ist, was sie mir verschweigt. Mutter sagt, sie hat ihn gleich angerufen, als ich ins Krankenhaus eingeliefert wurde, und er weiß Bescheid. Warum hat er dann nicht zurückgerufen? Das verstehe ich nicht. Ich mache die Augen zu und bin mit einem Schlag wieder in dem Kellerloch, strample verzweifelt im schwarzen Wasser. Ich spüre einen Kloß im Hals und mache die Augen wieder auf.
»Komm wieder runter«, ermahne ich mein Spiegelbild und nach einer Weile geht es mir besser. Bestimmt leide ich an posttraumatischem Stresssyndrom oder so was. Ich schlafe seither schlecht. Ich habe Albträume vom Ertrinken. Ich wache auf und muss das Ganze in Gedanken immer wieder durchgehen. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. In unserer Familie hat es niemand mit den Nerven, im Gegenteil, wir sind eher zu kaltblütig. Ich hab mir nie eingebildet, dass unter meinem Bett ein Monster lauert. Ich hatte schon als kleines Kind begriffen, dass man solche Gespenster einfach verscheuchen kann.
|75| Es gibt richtige Monster, Owen zum Beispiel, die sind wesentlich furchteinflößender. Ich höre ihn einen Stock tiefer über eine Fernsehsendung lachen. Unvorstellbar, ihn meinen Freundinnen als meinen neuen Stiefvater zu präsentieren – gruselig! Gestern war Mutters Brautjungfer Celia hier. »Ich habe gehört, du hattest einen kleinen Unfall, Lexi?«, hat sie gesäuselt. Und ich habe gesagt: »Ich hatte keinen kleinen Unfall, ich wäre fast gestorben.« Celia hat verlegen gekichert und weiter mit Mutter darüber diskutiert, ob sie die Hochzeitstafel besser mit goldenen oder mit silbernen Luftballons dekorieren. Ja, hier sind wirklich alle sehr besorgt um mich.
Ich habe die Nase voll davon, mies drauf zu sein und mich elend zu fühlen. Ich muss mich ablenken. Ich muss an etwas Schönes denken, zum Beispiel an … an … ach, an irgendwas.
Man lebt nur einmal, da kann man ebenso gut hübsch aussehen, ganz egal, ob sonst alles zum Teufel geht. Der Spiegel verrät mir, dass es viel zu tun gibt. Packen wir’s an. Hoffentlich hat Owen nicht wieder seine lustigen fünf Minuten. Manchmal dreht er, wenn ich dusche, unten den Kaltwasserhahn auf. Dann kommt das Wasser kochend heiß aus der Brause und ich kreische laut. Egal – erst mal ausgiebig duschen, dann enthaaren, mit Rasierer, Heißwachs und Creme, je nach Körperteil. Danach ist Haarewaschen dran, dann Kurpackung (eine spezielle für ganz kaputtes Haar, die zwanzig Minuten einwirken
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