Verfolgt
vor. Ich betrachte meine Arme. Sie sind sauber, demnach hat mich jemand gewaschen. Ich setze mich mühsam auf, worauf mir schlecht wird und ich merke, dass ich bis auf BH und Slip nackt bin. Mein Magen hebt sich, ich beuge mich vor, würge und spucke. Als der Brechreiz nachlässt, brennt mein Hals. Ich lege mich wieder hin.
Ich sehe meine Klamotten, die jemand gleich neben mir zum Trocknen über einen Busch gehängt hat, aber es |63| scheint, als wären sie vorher ausgewaschen worden. Daraufhin halte ich nach meinem Retter Ausschau, aber ich liege ganz allein am Waldrand. Von hier aus sieht man den Zaun und dahinter eine kahle Mauer, vielleicht die Rückseite der großen Villa. Ich strecke die Hand aus und befühle meine Kleider, aber sie sind noch feucht.
»Hallo?«, rufe ich heiser. Bestimmt kommt mein neuer Freund gleich angelaufen und bringt mir einen Becher Tee. Wer Flickendecken nähen kann, bringt es doch bestimmt auch fertig, ein heißes Getränk aufzutreiben. Oder wenigstens ein Glas Wasser. Ich kann nur noch ans Trinken denken, solchen Durst habe ich. Da entdecke ich vor dem Busch mit den Kleidern eine mit Wasser gefüllte Plastikflasche sowie meine Schuhe und einen Apfel. Den Apfel will ich nicht. Ich befreie mich von der Decke und muss gleich noch mal kotzen. Und noch mal und noch mal, bis mir alles wehtut, sogar die Augenlider, und mich abwechselnd heiße und kalte Schauer überlaufen. Als es überstanden ist, schlüpfe ich wieder unter die Decke und mache die Augen zu.
Als ich wieder einigermaßen klar denken kann, überlege ich. Was war das für ein Typ? Anscheinend ist er tatsächlich losgezogen und holt Hilfe. Aber wo steht sein Auto? Hätte er mich nicht einfach nach Hause oder ins Krankenhaus fahren können? Oder er ist zu Fuß unterwegs, ein Spaziergänger, und lieber gleich losgelaufen, statt zu warten, dass ich wieder zu mir komme. Wo hat er dann aber die Decke her? Irgendwas müffelt hier. Ich |64| rutsche von der Kotzpfütze weg und lehne mich mit dem Rücken an den Baum, aber es müffelt immer noch. Dann geht mir ein Licht auf. Was da stinkt, ist die Decke, aber ich kann mich noch nicht wieder anziehen. Ich sehne mich nach einer heißen Dusche und meinem Bett. Nach dem Licht zu urteilen, beziehungsweise nach der Dämmerung, ist es gegen neun, wenn nicht noch später. Ich rapple mich hoch. Ich bin noch wacklig auf den Beinen und jetzt pochen auch meine Bisswunden wieder. Meine Turnschuhe stehen nicht weit weg. Jemand hat auch sie ausgewaschen und anschließend trockenes Gras hineingestopft. Ich ziehe die Schuhe an und wickle mich in die Decke.
Dann klemme ich mir meine nassen Klamotten als Bündel unter den Arm. Mein Retter kommt anscheinend doch nicht mehr zurück. Es quietscht in meinen Schuhen, als ich zwischen den Bäumen hindurch zum Zaun stapfe. An das Haus wage ich mich nicht heran. Das will mich bestimmt nur mit Glasscherben schneiden oder mir einen Dachziegel auf den Kopf fallen lassen. Oder die Mistköter springen hinter einer Ecke hervor und zerfleischen mich. Oder ich stürze in einen Gully. Irgend so was. Das ist ein Spukhaus. Es wollte mich schon einmal umbringen, ich falle nicht mehr darauf herein.
Ein sanfter Windstoß fährt mir von hinten durchs Haar und ich fröstele. »Wo sind Sie?«, frage ich laut. Ich gehe am Zaun entlang bis zum Tor und lese die Schilder:
|65| DAS BETRETEN DES GRUNDSTÜCKS IST STRENG VERBOTEN
ACHTUNG EINSTURZGEFAHR
WARNUNG VOR DEM HUND
»Bisschen spät, ihr Idioten.«
Ich schlurfe in nassen Turnschuhen weiter. Die Decke schleift über den Boden. Ich fühle mich schwach und ein wenig benommen. Die Kopfschmerzen haben nachgelassen, mein Schädel brummt nur noch ein bisschen. Offen gestanden bin ich irgendwie sauer. Wenn die Hunde jetzt ankämen, würde ich sie einfach nur auslachen. Weil mein Schuh nass ist, kriege ich eine Blase an der Ferse – na und? Der Weg schlängelt sich bergab. Grasbüschel sprießen aus den Rissen im Asphalt. Inzwischen tut mein ganzes Bein weh, bei jedem Schritt sticht die Bisswunde. Bestimmt hat sie sich entzündet, mein Knöchel sieht jedenfalls geschwollen aus. Hoffentlich geht das wieder weg. Ich will nicht wie eine alte Oma aussehen, die so dicke Füße hat, dass sie kaum noch in ihre Schuhe passt.
Ich gehe weiter und weiter. Allmählich bekomme ich Angst, dass ich falsch abgebogen bin und immer tiefer in den Wald hineinlaufe. Ich steige über einen morschen Ast, der quer über dem Weg liegt. Hier ist seit
Weitere Kostenlose Bücher