Verfolgt
aufgehängt, |79| aber es hat sich noch niemand gemeldet. Sie ist mit Owen sämtliche Tierheime in der Umgebung abgefahren – ohne Erfolg. Als hätte sich Tyson in Luft aufgelöst. Und darum glaubt auch meine Mutter unterdessen, dass ihn jemand entführt hat.
Halb im Scherz (aber nur halb) schlage ich vor: »Frag doch mal Devlin, ob er sich in seinem Bekanntenkreis umhören kann.«
Meiner Mutter ist nicht zum Lachen. Sie hat ein Foto von Tyson ans Küchenfenster geklebt, damit sie ihn beim Abwaschen immer sehen kann. Ich fänd’s inzwischen auch gut, wenn der Hund wieder auftauchen würde, aber die bevorstehende Hochzeit und die ganzen Vorbereitungen lenken meine Mutter wenigstens ein bisschen ab. Sie möchte nächsten Monat an ihrem Geburtstag heiraten, und obwohl es angeblich nur eine ganz kleine Feier werden soll, muss sie eine Torte bestellen, Kleider aussuchen, einen Fotografen buchen, die Speisenfolge festlegen und so weiter. Sie hat alle Hände voll zu tun und keine Zeit, dauernd um Tyson zu trauern.
Das Telefon klingelt und ich renne in die Diele.
»Tag, Paula.«
Es ist Dad! Er hält mich für meine Mutter.
»Hier ist Lexi.« Ich versuche, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. »Wo steckst du? Warum gehst du nicht ans Handy? Warum hast du mich nicht mal angerufen?«
»Geht’s dir gut?«
|80| »Nein, mir geht’s nicht gut.« Ich erzähle ihm von meinem Erlebnis im Keller und von den Hunden und zum Schluss davon, wie beschissen ich mich hier fühle. »Kann ich jetzt wieder nach Hause kommen oder bist du noch in Frankreich?«, erkundige ich mich.
»Tut mir leid, Schatz, aber es hat ein paar Verzögerungen gegeben.« Er lässt sich darüber aus, dass ich noch eine Weile hierbleiben muss, weil sich jemand um mich kümmern muss.
»Um mich braucht sich niemand zu kümmern, ich will einfach wieder nach Hause!«, sage ich schrill. »Nächste Woche fangen die Collegekurse an!«
»Hab noch ein bisschen Geduld, Schätzchen.«
Als ich frage, wo er gerade ist, meint er, das kann er mir jetzt nicht sagen. Da werde ich endgültig sauer, denn das bedeutet, dass ich recht hatte und er irgendwelche krummen Dinger dreht.
»Ich hasse dich!«, schreie ich und knalle den Hörer auf. Ich starre den Apparat an und mir kommen die Tränen, da streckt Owen den Kopf in die Diele.
»Hat er’s endlich ausgespuckt, oder wie?«
»Was denn?« Ich sehe ihn durchdringend an.
»Also nicht.«
Aber da ist auch schon meine Mutter zur Stelle. »Owen!«, sagt sie mahnend und legt ihm die Hand auf den Arm, als wollte sie ihn abführen.
»WAS IST LOS MIT DAD?«, brülle ich. »Ich bin kein Baby mehr! Ihr könnt es mir erzählen!«
|81| Meine Mutter funkelt Owen an und er verzieht sich wieder vor den Fernseher. Dann holt sie tief Luft und kommt zu mir. »Ich darf dir noch nicht erzählen, wo sich dein Vater gerade aufhält, Lexi, ich hab’s ihm versprochen. Aber es geht ihm gut. Und er ist bald wieder da. Dann erfährst du alles. Ich schätze mal, du musst mindestens noch einen Monat bei uns bleiben. Also lass uns das Beste draus machen, in Ordnung?«
Warum rückt sie nicht mit der Sprache heraus? »Nein. Wo ist Dad?«
»Lexi …«
»Wo ist Dad, wo ist Dad, WO IST DAD?«, schreie ich sie an. Mir ist selber klar, dass ich übertreibe, aber ich habe einfach keinen Bock drauf, mich zu beherrschen.
»Das wirst du früh genug erfahren.« Sie trippelt in ihren rosa-beigen Satinpantöffelchen davon.
»BLÖDE SCHLAMPE!«, schreie ich hinter ihr her. Meine Mutter bleibt kurz stehen, geht dann aber weiter. Ich nehme das Telefon und schmeiße es auf den Boden, worauf Owen wieder in die Diele gestürzt kommt.
»Sprich gefälligst nicht so mit Paula!«
»Verpiss dich!« Ich quetsche mich an ihm vorbei und renne die Treppe hoch in mein Zimmer. Ich knalle die Tür zu, auch wenn das ein blödes Pubertätsklischee ist, aber es tut gut. Ich mache die Tür noch einmal auf und knalle sie so fest zu, dass der Türrahmen splittert und Holzstückchen auf dem Teppich landen.
Jetzt ist aber gut, Lexi. Ich benehme mich ja wie ein |82| weiblicher Devlin! Ich lasse mich in der Ecke auf den Boden fallen, gegenüber von dem New-York-Poster.
Irgendwie unheimlich, wie schnell es gehen kann, dass man ganz allein auf der Welt ist. Noch vor ein paar Wochen hatte ich haufenweise Leute um mich, vor allem Dad, Devlin, Chas und Moz, aber auch alle Leute in der Schule. Hier habe ich niemanden, mit dem ich vernünftig reden kann. Ich bin allein.
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