Verfolgt
Monaten kein Auto mehr entlanggefahren. Natürlich bin ich immer noch neugierig, wer mich eigentlich gerettet hat und wem die beiden Hunde gehören, aber im Grunde kann ich nur an das schöne heiße Bad denken, das ich mir sofort einlassen |66| werde, wenn ich hoffentlich bald wieder bei meiner Mutter ankomme.
Es ist inzwischen fast dunkel und ich befasse mich widerstrebend mit dem Gedanken, womöglich die Nacht hier draußen verbringen zu müssen, da höre ich ein Auto und sehe blaue Lichtstreifen über die Baumstämme huschen. Hinter einer Biegung stehen auf einer Wiese lauter Menschen im Schein der Blaulichter. Ein Notarztwagen ist auch da. Ein Polizeihund entdeckt mich und fängt an zu bellen. Ich spreize die Finger und mache das Peace-Zeichen. Fünf Polizisten beugen sich über eine Karte. Sie kriegen gar nicht mit, dass ich von hinten ankomme.
»Nehmen Sie mich ein Stück mit?« Ich tippe einer Polizistin auf die Schulter und sie fährt mit leisem Aufschrei herum.
Dann sehe ich Owen. Er parkt ein Stück weiter weg, sitzt im Auto und quatscht in sein Handy.
»He!« Ich renne los. »Hier bin ich!« Doch da packt mich die Polizistin am Arm.
»Bist du Lexi Juby?«, will sie wissen.
»So steht’s jedenfalls in meinem Ausweis«, sage ich. Ich kann Bullen nicht besonders leiden. Sie waren an ein, zwei Vorfällen in meiner Vergangenheit beteiligt, an die ich mich gar nicht gern erinnere. Trotzdem – als jetzt ein Kollege der Frau dazukommt, fahre ich mir rasch durch die Haare. Der Polizist ist groß, dunkelhaarig und sieht verdammt gut aus. Ich selber bin in meiner alten Bettdecke bestimmt ein superscharfer Anblick.
|67| »Wir haben sie gefunden!«, verkündet die Polizistin.
Anscheinend bin ich immer noch nicht wieder ganz bei mir, denn mir geht erst jetzt auf, dass der ganze Zirkus mir gilt. »Irrtum!« Ich lächle den gut aussehenden Bullen an. »Ich hab euch gefunden.«
Nach dem ganzen Rummel im Wald wundert es wohl niemanden, dass am Krankenhaus schon haufenweise Reporter und Fotografen auf mich warten. Ich sitze im Krankenwagen. Ob mir wieder schlecht wird? Durchs Fenster beobachte ich den Menschenauflauf. Wahnsinn! Dabei war ich bloß zehn Stunden oder so vermisst. Jetzt komme ich bestimmt ins Fernsehen. Ich betrachte kritisch mein Spiegelbild im Autofenster und falle fast tot um. Ich sehe aus wie meine hässliche Zwillingsschwester, vom Make-up ist natürlich nichts mehr übrig. Weil der ganze Lippenstift runter ist, beiße ich mir auf die Lippen, damit sie wieder Farbe bekommen, und zupfe an meinem Haar herum. Ob die Sanitäterin wenigstens Lippenbalsam dabeihat?
Die Frau beobachtet mich. »Die vielen Leute sind nicht deinetwegen gekommen«, sagt sie. Jetzt fallen mir die Transparente auf.
NYASHAS ZUHAUSE = BEWLEA, ENGLAND!
NYASHA GEHÖRT HIERHER!
UNTERSTÜTZT NYASHA AGRUBA
|68| Der Krankenwagen fährt auf den Parkplatz und hält. Die Sanitäterin füllt einen Fragebogen aus und ich sehe durchs Fenster, wie eine kleine Frau die Krankenhaustreppe herunterkommt. Sie ist in eine lila Decke gehüllt und sofort scharen sich die Leute um sie. Blitzlichter zucken auf. Die Frau wird in ein Taxi verfrachtet und fährt weg.
»Wer war das?«, frage ich.
Die Sanitäterin blickt gar nicht auf. »Das war Nyasha Agruba. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt und sie soll nächsten Monat abgeschoben werde. Sie wohnt schon fünf Jahre hier, ihr Sohn geht hier in die Grundschule. Gestern Abend auf der Gemeindeversammlung ist sie zusammengeklappt. Dass sie abgeschoben werden soll, hat eine Protestwelle ausgelöst. Schaust du denn keine Nachrichten?«
»Ich bin erst sechzehn«, erwidere ich. »Ich hab Besseres zu tun.« Dann kotze ich den ganzen Wagen voll.
|69| EINE NEUIGKEIT
Auf der Heimfahrt vom Krankenhaus lässt Mutter dann die Bombe platzen. Ich werde nach drei Tagen entlassen, auch wenn ich noch Magenbeschwerden habe und Gelenkschmerzen wie eine alte Frau. Ich sitze hinten in Owens Auto und betaste meine Wange. Ich fürchte, dass mein Teint ruiniert ist, weil ich volle drei Tage lang keine Feuchtigkeitscreme benutzt habe. Am ersten Tag im Krankenhaus hat mir Mutter etwas zum Anziehen mitgebracht, aber an Kosmetik hat sie nicht gedacht. Sie hat meine schwarze Jeans ausgesucht und ein halbwegs passendes Oberteil, darum sehe ich einigermaßen anständig aus. Mutter meinte, sie hat den Leuten vom Krankenhaus gesagt, sie sollen meine alten Sachen verbrennen. Ich war stinksauer, als ich das gehört habe, obwohl
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