Verfolgt
sich in den Sessel sinken und schaut mich erwartungsvoll an. »Seit mir das hier passiert ist«, sie klopft auf ihr Bein, »komme ich nicht mehr so oft vor die Tür, wie ich gern würde.« Ich muss immer ihren Schnurrbart ansehen. Hoffentlich merkt sie nichts.
»Ich hab Ihnen was mitgebracht.« Ich halte ihr einen Lippenstift hin. »Ruby Kiss heißt die Farbe. Ihr rosa Lippenstift ist sehr frühlingshaft, aber er passt nicht richtig zu Ihrem Teint. Hier!«
Emily nimmt den Lippenstift überrascht entgegen und dreht ihn hin und her. »Danke schön! Aber der war doch bestimmt teuer!«
»Betrachten Sie’s als gute Geldanlage. Mit billigem Make-up sieht man auch billig aus. Darf ich mal?« Da ich nicht annehme, dass sie einen Lippenpinsel besitzt, male ich ihre Lippen an, so gut ich kann, und versuche, mich nicht davon ablenken zu lassen, dass mich ihr Schnurrbart kitzelt. Als ich fertig bin, steht Emily auf und tritt vor den Spiegel.
|98| »Wunderschön, Schätzchen!«, sagt sie.
»Sie sollten unbedingt noch Lidschatten benutzen, damit auch die Augenpartie betont wird. Aber die Farbe steht Ihnen richtig gut.« Ich lächle sie an und überlege, ob ich vielleicht bei meinem nächsten Besuch Enthaarungscreme für ihre Oberlippe mitbringen soll.
»Da fühlt man sich doch gleich wieder wie achtzehn«, sagt Emily.
Auf jeden Fall könnte ich meiner Mutter etwas Rouge stibitzen. Mutter hat eine Menge Produkte für die reife Haut.
»Du bist übrigens das allgemeine Dorfgespräch«, sagt Emily. »Du und deine wundersame Rettung.«
Ich nicke. »Was ist das eigentlich für ein Gebäude? Warum steht es leer?«
»Ach, das weißt du nicht?«, fragt Emily zurück, aber ich beantworte aus Prinzip keine rhetorischen Fragen.
»Die Villa stammt aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.« Sie sieht mich prüfend an. »Also achtzehnhundertundnochwas.«
»Aha«, sage ich. Sie hält mich wohl für blöd. Egal. Manchmal ist es gar nicht schlecht, wenn einen die Leute für beschränkt halten. Das ist wie eine Tarnkappe.
»Es war eine Anstalt für Geisteskranke«, fährt Emily fort. »Aber eine ziemlich exklusive. Es gab da zwar auch richtige Geisteskranke, aber etliche Männer lieferten dort ihre Gattinnen ein, wenn sie ihrer überdrüssig geworden waren, und auch an Melancholie leidende feine Leute suchten die |99| Anstalt auf. Übrigens auch höhere Töchter, die vom Pfad der Tugend abgekommen waren, glaube ich jedenfalls.«
Ich lächle sie wieder an. Wenn doch nur mal jemand mich vom Pfad der Tugend abbringen würde!
»Im Lauf der Jahre hat die Anstalt mehrmals den Besitzer gewechselt und ist immer mehr heruntergekommen. Es gab etliche Skandale, die seinerzeit großes Aufsehen erregt haben. Bei einer Überprüfung stellte sich heraus, dass eine Patientin zehn Jahre lang in ihrem Zimmer angekettet worden war, und einmal ist ein entsprungener Irrer splitterfasernackt über die Hauptstraße von Bewlea gerannt. Der Ruf des Sanatoriums litt immer mehr, bis irgendwann auch der abscheulichste Ehemann es sich gesellschaftlich nicht mehr erlauben konnte, seine Frau dort unterzubringen.«
»Sind Sie verheiratet, Emily?«, unterbreche ich sie, weil ich eine Anspielung wittere.
»Meine Ehe dauerte genau einen Monat. Eine Woche Seligkeit, eine Woche Grauen, und zwei Wochen habe ich auf der Schwelle des Scheidungsanwalts übernachtet.«
»Kann man sich denn innerhalb von zwei Wochen wieder scheiden lassen?« Gut zu wissen, falls Mutter irgendwann von Owen die Nase voll hat, was meiner Meinung nach nicht lange dauern kann.
»Ach, Heiraten ist auch nicht unbedingt das Glück auf Erden«, seufzt Emily und bleibt mir die Antwort schuldig.
Ich habe mir immer vorgestellt, dass ich eines Tages heirate. Natürlich noch nicht jetzt. Erst wenn ich viel älter |100| bin, vierundzwanzig, fünfundzwanzig oder so. Prinz William könnte mir gefallen, allerdings ist der doch vielleicht ein bisschen zu alt für mich. Trotzdem – ich wäre gern Prinzessin Lexi. Dann würde ich meinen Vater und meinen Bruder bei Hofe anstellen, damit sie mir die Paparazzi vom Leib halten. Leider wird da wohl nichts draus, denn einen Skiurlaub werde ich mir nie leisten können. Somit gehen meine Chancen, den Prinzen kennenzulernen, gegen null. Außerdem bin ich eine Bürgerliche, aber William würde bestimmt über meine niedrige Herkunft hinwegsehen und wäre von meiner Klugheit und natürlich meiner hinreißenden Erscheinung bezaubert. Ob er allerdings meinen Bruder in
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