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Verfolgt

Verfolgt

Titel: Verfolgt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Kennen
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habe, hole ich sie mir und überfliege die Titelseite.
     
    Familie Agruba soll in vierzehn Tagen abgeschoben werden
    Nyasha Agrubas Asylantrag wurde endgültig abgelehnt. Anfang deskommenden Monatswollen die Behörden sie und ihren Sohn Chuma (11) abschieben.
    Nyasha lebt seit sechs Jahren in Großbritannien. Sie floh ausihrer Heimat Simbabwe, weil ihr Ehemann Farai Agruba, ein Journalist, wegen angeblicher Verschwörungsabsichten verhaftet wurde. Farai Agruba sitzt immer noch in Untersuchungshaft. Nyasha ließ sich in der Kleinstadt Charlton nieder, deren Einwohner die Abschiebung unter allen Umständen verhindern wollen. »Das kommt einem Todesurteil |104| gleich«, sagt Delia Freely, Lehrerin an der dortigen Grundschule, die Chuma Agruba die letzten fünf Jahre besucht hat. »Als ihr Mann verhaftet wurde, musste Nyasha um ihr Leben fürchten. Wir dürfen nicht zulassen, dass man sie wieder zurückschickt.« Eine Sprecherin der Einwanderungsbehörde sagt: »Es gibt viele solcher Fälle. Alle Anträge werden gewissenhaft geprüft. Trotzdem können wir nicht jedem gestatten hierzubleiben.« Nyasha und ihr Sohn sollen aus ihrer Wohnung in Charlton abgeholt und per Flugzeug von Beamten in ihre Heimat begleitet werden. Wassie dort erwartet, bleibt ungewiss.
     
    Jetzt höre ich schlurfende Schritte und es quietscht und knarrt, als ließe jemand ein verzogenes Schiebefenster herunter.
    »Alles in Ordnung, Emily?«, rufe ich.
    »Ja, ja«, lautet die Antwort. »Bin gleich wieder bei dir.«
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Nein danke«, lehnt Emily entschieden ab. »Ich will ihn nicht verschrecken.«
    Ich setze mich wieder hin und warte. Die große Standuhr tickt laut. Emily braucht ewig. Ich stehe auf und schlendere durchs Zimmer. Die Scheuerleisten sind dick verstaubt, die Türen haben Fingertapser und müssten mal mit warmem Wasser abgewischt werden. Die Fenster sind total verdreckt.
    Vielleicht ist Emily ja zu alt, um ihren Haushalt noch allein bewältigen zu können. Ob es aufdringlich ist, wenn |105| ich ihr meine Hilfe anbiete? Ich mache die Tür zum Esszimmer auf, ein kleines, dunkles Zimmer. Hier riecht es noch muffiger und von der Decke hängen Spinnweben. An einer Wand sind Konservenbüchsen und Gläser aufgetürmt: Mais, Pilze, Tomaten, Kartoffeln, Erbsen, rote Bohnen, weiße Bohnen und mindestens vierzig Dosen Bohnensuppe. Außerdem Büchsenfleisch und Würstchen. Auf der Fensterbank stapeln sich Kartons mit Hunde-Trockenfutter. Es gibt solche Leute, die zwanghaft horten. Bei uns in Bexton wohnt zum Beispiel ein Mann, der fängt den Regen in lauter Flaschen und Eimern auf und sammelt das Wasser in einem Tank im Garten. Falls die Terroristen mal das Trinkwasser vergiften, sagt er. Vielleicht geht es Emily ja ähnlich.
    »Lexi?« Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Ich habe sie gar nicht kommen hören.
    »Ich hab bloß das Klo gesucht.« Emily bekommt mit, dass ich mich noch einmal nach dem Dosenberg umdrehe.
    »Ich bin gern für alles gerüstet«, sagt sie. »1976 war ich einmal drei Wochen eingeschneit und musste mich von Mürbeteigplätzchen und Rosinen ernähren. Heutzutage kann man gar nicht vorsichtig genug sein.«
    Ich erkläre ihr, dass ich jetzt nach Hause müsste.
    »Komm mich mal wieder besuchen, Schätzchen«, sagt sie. Dann setzt sie verlegen hinzu: »Aber nur, wenn du auch wirklich dazu Lust hast. Ich weiß ja, dass ihr jungen Leute immer beschäftigt seid.«
     
    |106| Auf dem Heimweg schwirrt mir der Kopf. Zum Glück wusste ich bei meinem leichtsinnigen Ausflug noch nicht, dass die Villa früher ein Irrenhaus war. Ich hätte mich zu Tode gefürchtet! Ich könnte heute noch in dem verlassenen Keller im Wasser treiben, mit dem Bauch nach oben und scheußlich aufgedunsen. Aber jemand hat mich gerettet. Wer?
    Als meine Mutter heimkommt und ich ihr erzähle, dass ich bei Emily war, macht sie ein verdutztes Gesicht.
    »Ist das die Alte mit dem Stock?«
    Ich nicke.
    »Die steckt überall ihre Nase rein«, sagt meine Mutter. »Sie weiß alles, was sich hier im Dorf so tut. Anderer Leute Angelegenheiten sind anscheinend ihr Hobby. Traurig, so was. Pass lieber auf, was du ihr alles erzählst, Lexi, sonst weiß es am nächsten Tag das halbe Dorf.«
    »Ich fand sie sehr nett.«
    Meine Mutter macht ein nachdenkliches Gesicht. »Ob sie wohl noch Schönschrift beherrscht? Alte Leute haben oft noch so eine hübsche Handschrift.«
    »Wie kommst du denn jetzt darauf?«
    »Ich suche jemanden, der mir die

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