Verfolgt
seiner Familie haben wollte … da bin ich nicht so sicher. Vielleicht sollte ich lieber Prinz Harry heiraten, der könnte Devlin auf seine Streifzüge durch die Nachtklubs mitnehmen, aber Harry ist ja eher eine Art Lückenbüßer und wird es nie zu etwas Großem bringen, und von Loser-Typen habe ich die Nase voll.
»Huhu, Kindchen, woran denkst du denn?« Emily hat gemerkt, dass ich ganz woanders bin. Ich gebe mir einen Ruck und höre wieder zu.
»Bis Anfang dieses Jahrhunderts hat Beacon House noch Geisteskranke beherbergt. Dann wurde es renoviert und nannte sich von da an Beacon-Klinik. Im zweiten Weltkrieg hat das Militär drei Flügel beschlagnahmt und völlig runtergewirtschaftet. Nach dem Krieg lief der Klinikbetrieb noch einmal zwanzig Jahre, dann haben die Behörden das Ganze geschlossen und das Gebäude hat |101| jahrelang leer gestanden. Irgendwann hat die Regierung es dann gekauft und das Dach neu decken lassen. Man hat den Zaun hochgezogen und den Nord- und den Ostflügel zu einem Untersuchungsgefängnis für illegale Einwanderer umgebaut, die abgeschoben werden sollten. Das übrige Gebäude verfiel. Und das Gefängnis wiederum wurde vor fünf Jahren geschlossen«, beendet Emily ihren Bericht. »Hoffentlich bleibt es dabei. Das Haus hat so etwas Düsteres, Bedrückendes. Das ist weder dem Wachpersonal noch den Inhaftierten gut bekommen.«
»Ich hab mich dort auch nicht wohlgefühlt«, werfe ich ein.
»Wenn es nach mir ginge, hätte man das Ganze längst in Brand gesteckt. Du wärst nicht die Erste gewesen, die dort auf grausige Weise umgekommen ist.«
Das macht mich neugierig. »Wie meinen Sie das?«
Emily antwortet nicht gleich. Sie trinkt erst einen großen Schluck Tee, dann seufzt sie schwer. »Ein Jahr nach der Schließung der Anlage hat man dort die Leiche einer Frau gefunden. Jemand hatte sie auf dem Gelände verscharrt.«
Mich überläuft es kalt. »Und wer war die Frau?«
»Das konnte nicht festgestellt werden. Sie wurde nie identifiziert.«
»Sie wissen aber gut Bescheid«, sage ich.
»Kein Wunder.« Emily trinkt wieder einen Schluck Tee. Ihr Oberlippenbart färbt sich bräunlich. »Schließlich habe ich fünfzig Jahre lang dort gearbeitet.«
|102| »Ich habe nach dem Krieg dort angefangen, in den Fünfzigerjahren«, erzählt Emily. »Erst war ich eine Art besseres Hausmädchen, dann bin ich zur Wirtschafterin aufgestiegen. Da hieß es schon Beacon-Klinik. Als die Klinik geschlossen wurde, wurden wir alle arbeitslos. Das Gebäude stand lange leer. Man dachte schon, es würde abgerissen, aber dann entschloss sich die Regierung aus heiterem Himmel, es zum Abschiebegefängnis umzubauen. Ich konnte als Küchenhilfe wieder anfangen. Es war sehr merkwürdig, nach so vielen Jahren wieder dort zu arbeiten.« Sie sieht mich an. »Das halbe Dorf war dort angestellt. Als dann auch das Gefängnis wieder geschlossen wurde, war das eine Katastrophe. Als hätte man die Zeit zurückgedreht. Der Freund deiner Mutter hat dir doch bestimmt davon erzählt.«
»Nein. Wieso sollte er?«
»Weil er auch dort gearbeitet hat, als es ein Gefängnis war. Als Aufseher.«
Davon hat mir Owen nie etwas erzählt! Kein Wort. Alter Heimlichtuer.
»Den meisten Leuten hier wäre es am liebsten, wenn die Klinik dem Erdboden gleichgemacht würde«, sagt Emily. »Niemand verbindet etwas Gutes damit. Noch Tee?« Ich schüttle den Kopf. Ich habe noch einen ekligen Nachgeschmack von der ersten Tasse im Mund. Ich sehe auf die Uhr und staune. Ich bin schon eine halbe Stunde hier.
»Gibt es denn dort noch einen Hausmeister oder so?«, frage ich. »Ich weiß nämlich immer noch nicht, wer mich gerettet hat.«
|103| »Ein Wachdienst kümmert sich um das Gelände. Aber die Angestellten wechseln ständig. Keine Ahnung, wer dich gerettet haben könnte. Du hast großes Glück gehabt. Geh da bloß nicht mehr hin, hörst du? Das nächste Mal geht es vielleicht nicht so gut aus.«
Irgendwo im Haus kracht es. Wir fahren beide zusammen und Emily schüttet sich Tee in den Schoß. »Das ist bestimmt wieder dieser streunende Kater«, sagt Emily dann. »Bleib du hier sitzen. Er ist sehr scheu.« Sie steht ächzend aus dem Sessel auf und schlurft davon. Ich sehe mich wieder im Zimmer um. Wie ich wohl mal werde, wenn ich alt bin? Ob ich mich dann auch zwischen Blumendrucken und den Fotografien verstorbener Verwandter einrichte? Auf einem Stuhl liegt eine Zeitung. Weil Emily nicht gleich wiederkommt und ich nichts anderes zu tun
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