Verfolgt
sehen, |165| sonst will er nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich habe noch nicht mal Eyeliner drauf! Dann schreie ich auf, weil mir jemand die Hand auf die Schulter legt. Es ist Kos. Er grinst mich an. Das war’s dann wohl mit noch mal nach Hause fahren. Kos scheint sich trotz meiner fehlenden Kriegsbemalung über meine Anwesenheit zu freuen. Oder ist er bloß rücksichtsvoll? Hm … So von unten betrachtet hat er ein schönes energisches Kinn, auch wenn das mit dem Bartwuchs noch nicht richtig klappt, und seine Arme und Schultern sind zum Anbeißen. Ich schmelze dahin.
Du darfst dich nicht in diesen Mann verlieben, Lexi!,
rufe ich mich zur Vernunft.
Er kommt NICHT INFRAGE!
Die Trennung von Chas Parsons ist mir damals schwergefallen. Er war ein süßer Typ und hat mich immer zum Lachen gebracht. Aber er war Devlins bester Freund und genauso kriminell veranlagt wie mein lieber Bruder. Er hatte überhaupt kein Unrechtsbewusstsein. Nach unserer Trennung habe ich mir dann vorgenommen, nur noch mit ganz normalen Typen etwas anzufangen, solchen, die nichts Verbotenes tun, die ein Auto und eine Arbeit haben, die samstags Fußball spielen und keine Autos knacken oder durch die Gegend fahren und Mist bauen. Und jetzt sitze ich hier und schmachte einen
Penner
an. Ich muss dringend mal zum Psychologen.
»Essen?«, fragt Kos.
Ich lächle ihn an. Er sagt wenigstens, was er denkt. Ich hole eine Packung Schokokekse aus der Tasche und sehe zu, wie er sie gierig aufreißt. Am besten tue ich einfach |166| so, als würde ich nicht grauenhaft aussehen, und vertraue darauf, dass ihn meine fesselnde Persönlichkeit blendet.
»Wo schläfst du eigentlich?«, frage ich. »Im Baum?« Hoffentlich übernachtet er nicht in dem grässlichen Anstaltsschlafsaal, den er mir gestern gezeigt hat.
Kos wischt sich die Kekskrümel vom Mund. Wie könnte ich ihn bloß dazu kriegen, mal zu duschen? Soll ich ihn heimlich mit nach Hause nehmen und im Bad einschließen? Er winkt mir und wir stapfen hintereinander her durchs Unterholz. Wir gehen um das Hauptgebäude herum. Wie er so vor mir herläuft, wirkt Kos ganz unbekümmert. Ich hätte gedacht, er ist ständig auf der Hut. Da trete ich aus Versehen auf eine von Unkraut überwucherte Fensterscheibe. Es knackt laut und Kos lässt sich sofort hinfallen, als hätte jemand auf ihn geschossen. Vielleicht ist er doch nicht so unbekümmert, wie er tut.
»Das war bloß ich«, sage ich und er steht wieder auf. Wir gehen jetzt einen flachen Abhang hinter der Villa hinunter und kommen an eine hohe Hecke. Dahinter stehen mehrere niedrige Baracken.
Wir kriechen durch die Hecke. Kos grinst mich an und stößt die Tür der vordersten Baracke auf. Die Tür quietscht, als hätte sie schon lange niemand mehr aufgemacht. Drinnen ist es dunkel und es riecht muffig wie die Klamotten aus der Altkleidersammlung (ich mag keine Kleidung von Verstorbenen tragen, aber Moz schleift mich andauernd in irgendwelche Secondhandläden). Es gibt |167| nur einen einzigen großen Raum. An den Wänden sind schmale Bänke aufgestellt, der Fußboden ist mit leeren Verpackungen und Getränkekartons übersät. In der Ecke liegen eine Matratze, aus der schon die Füllung quillt, und eine schmuddelige Decke.
»Na ja, es sieht noch ein bisschen provisorisch aus«, sage ich, »aber man kann bestimmt was draus machen.«
»Im Winter ich schlafe hier«, sagt Kos mit seiner komischen Stimme.
Wir verlassen die Baracke wieder und Kos führt mich zu einem Loch in dem Zaun, der das ganze Gelände umgibt. Wir klettern durch und laufen in Richtung Wald. Es kommt mir vor, als würde mich Kos von Mal zu Mal besser verstehen. Und als würde sich auch sein Wortschatz allmählich vergrößern. Es ist nur eine Vermutung, aber ich glaube, dass er eigentlich ganz normal reden kann, er ist bloß aus der Übung.
Die Sonne scheint, wir schlendern durch den Wald und Kos zeigt nach oben. Ein Vogel flattert wie ein grüner Blitz von einem Ast auf. Kos zeigt mir noch viel mehr. Einen weißen Stein mit Glitzerpünktchen drin, einen knallroten Baumpilz und einen Fuchs, der dicht vor uns reglos im Farnkraut hockt und uns mit hellen Augen beobachtet. Kos drückt mir eine kleine blaue Blume in die Hand und hebt die Hand samt Blume an meine Nase. Die Blume duftet betäubend süß und ich reibe mir mit den Blütenblättern die Handgelenke ein wie mit Parfüm.
»Lexi!«
|168| Ich sehe mich um, aber Kos ist auf einmal verschwunden.
»Oben, Lexi, oben!«
Als ich
Weitere Kostenlose Bücher