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Verfolgt

Verfolgt

Titel: Verfolgt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Kennen
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hochschaue, sehe ich nur Äste und ein Stück blauen Himmel. Etwas Kleines, Hartes plumpst mir ins Haar und ich fische es heraus. Es ist eine Eichel.
    »Kos?«
    Dann entdecke ich ihn hoch über mir. Er liegt auf einem dicken Ast und schaut auf mich herunter.
    »Komm!«, fordert er mich auf.
    »Vergiss es. Ich bin doch kein Affe!«
    »Ist schön hier oben, Lexi.«
    »Nein.« Ich lege den Kopf in den Nacken und kneife die Augen zusammen. »Ist schöner hier unten.«
    »Le-xii!«, ruft er lockend und auf einmal baumelt ein Seil vor meiner Nase. Das Seil hat in unregelmäßigen Abständen dicke Knoten, in die Holzstücke gesteckt sind. Es ist das Seil, mit dem mich Kos vor dem Ertrinken gerettet hat. Mich überläuft es kalt.
    Kos lässt nicht locker. »KOMM, Lexi! Lexi Angst?«
    »Quatsch!«, sage ich verächtlich. Klar habe ich Angst. Ich schaue noch einmal zu Kos hoch. Von da oben kann man bestimmt kilometerweit in die Ferne sehen. Auf einmal juckt es mich in den Fingern. Ich kann ja einfach nur ein Stück hochklettern, ich kann jederzeit haltmachen. Wieso eigentlich nicht? Ich bin schließlich noch nicht achtzig wie die arme Emily und habe ein schlimmes Bein. Ich muss mich auch mal amüsieren dürfen. Die Äste |169| machen einen stabilen Eindruck. Ich glaube, der Baum ist eine Buche. So ein ähnlicher stand auf dem Pausenhof von meiner alten Schule.
    Ich packe das Seil. »Na gut. Wirst schon sehen.« Ich trete auf das unterste Holzstück und schaukle sofort derart mit dem Seil herum, dass ich mich nicht halten kann und herunterfalle. Auf den Hintern. Besonders weh tut es nicht, aber es ist mir ziemlich peinlich. Vielleicht habe ich mich überschätzt?
    »Warum du sitzt, Lexi?«, fragt Kos lachend. Ich stehe auf und nehme noch einen Anlauf. Diesmal stemme ich die Füße gegen den Baumstamm und ziehe mich nur mit den Händen am Seil hoch. Im Stamm ist eine Kerbe, in die man prima den Fuß stellen kann. Ein Stück weiter oben ist noch eine. Anscheinend hat Kos die Kerben in den Baum gehauen, aber es muss schon länger her sein, denn es ist wieder Rinde drübergewachsen. Ich klettere immer höher, und obwohl ich schwitze und schnaufe, geht es mit dem Seil und den Kerben doch leichter, als ich gedacht hatte. Trotzdem ist es noch ein ganzes Stück bis nach oben zu Kos. Ich gebe nicht auf, sondern beiße die Zähne zusammen. Was ist bloß in mich gefahren? Seit ich zu meiner Mutter gezogen bin, führe ich mich auf wie ein weiblicher Tarzan, treibe mich mit Landstreichern herum, vergesse mich zu schminken und klettere auf Bäume! Moz würde sich totlachen, wenn sie mich so sehen könnte.
    Jetzt klettert mir Kos ein Stück entgegen. So geschmeidig, |170| wie er sich bewegt, wundert es mich nicht, dass ihn noch niemand aus dem Dorf erwischt hat. Wenn man ihm beim Klettern zusieht, könnte man denken, es wäre kinderleicht, so gelenkig und geschmeidig ist er. Bis vor einer Weile habe ich noch geturnt. Ich war im Verein und habe an Wettkämpfen teilgenommen. Ich war eigentlich ganz gut, aber nicht die Beste. Kos erinnert mich an unsere Spitzenleute im Verein. Er bewegt sich hier oben absolut sicher und mühelos und ist so muskulös, als würde er jeden Tag trainieren.
    Ich schwinge das Bein über einen dicken Ast und setze mich keuchend obendrauf. Dann schaue ich runter. Ich bin mindestens sechs Meter hoch geklettert.
    »Das reicht«, sage ich. »Höher will ich nicht.«
    Kos tritt auf meinen Ast. »Da!« Er macht eine schwungvolle Geste.
    Ich schlinge beide Beine um den Ast und schaue über den Wald. Bäume, so weit das Auge reicht. Ich kann die Reihe der Strommasten erkennen, die sich ins Tal hinunterschlängelt, Bewlea ist ein verschwommener rötlicher Fleck. Ich schaue wieder am Baumstamm hinunter. Jetzt muss ich es nur noch schaffen, heil wieder nach unten zu gelangen. Ich überlege noch, wie ich das am besten anstelle, da kommt ein Tier, ein Hund vielleicht, aus einer schattigen Bodenkuhle gehuscht. Ich halte mich fest und spähe angestrengt nach unten. Nein, es ist keine Kuhle, es ist eine Art Höhle. Farnwedel und morsche Äste sind über den Eingang gelegt, dahinter scheint eine Art Gang |171| steil abwärts zu führen. Richtig kann ich es nicht erkennen, weil mir die anderen Bäume die Sicht verstellen.
    Ich drehe mich nach Kos um. »Was ist das?«
    »Geheim!«, sagt er und streicht sich das Haar aus dem Gesicht.
    Runterzuklettern ist viel schwerer als rauf. Erstens bin ich schon müde, zweitens sehe ich jetzt, wie

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