Verfolgt
nachzuschleichen. Außerdem will ich ja Kos suchen.
Ich warte noch einen Augenblick lang hinter dem Bretterstapel, dann wage ich mich hervor. Ich gehe um das Haus herum und spähe um die Ecke. Drei Gestalten stapfen durchs hohe Gras. Ich husche mit gespitzten Ohren hinterher. So bekomme ich wenigstens mit, wo sie ihre Fallen aufstellen. Nicht zu fassen, dass meine Mutter diesen Mann heiraten will. Ich dachte, er wäre aus einer besoffenen Laune heraus hergekommen, aber anscheinend war dieser Streifzug geplant. Bei dem verfallenen Denkmal bleiben die Männer kurz stehen und laufen dann weiter. Sie gehen schnell, bewegen sich aber unbeholfen, demnach sind sie noch nicht wieder ganz nüchtern. Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen gleiten flackernd über den Boden. Näher kann ich nicht heran, sonst sehen sie mich, wenn sie sich zufällig umdrehen. Hoffentlich ist Kos weit, weit weg. Meinetwegen sogar auf einem seiner Beutezüge im Dorf. Hauptsache nicht hier. Jetzt reden sie wieder. Sie wollen nach den im Wald verteilten Fallen schauen. Eigentlich müsste ich ihnen folgen, aber auf einmal kann ich nicht mehr. Ich kann mich nicht überwinden, in den finsteren, mit Fallen gespickten Wald zurückzukehren. Ich schaffe es nicht. Dort bin ich Kos keine |271| Hilfe. Vor mir ragt das Klinikgebäude auf. Da gehe ich auch nicht noch mal rein.
Ich gebe mir einen Ruck. Ich gehe jetzt wieder nach Hause und rufe die Polizei an. Die Sache wächst mir über den Kopf. Ich bin überfordert. Ich finde Kos nie. Wahrscheinlich ist er sowieso ganz woanders. Ich bringe mich nur selbst in Gefahr. Womöglich beobachten sie mich schon …
Da höre ich etwas. Ganz, ganz leise.
Ein kalter Windstoß fegt über mich hinweg. Die Kälte kriecht mir den Rücken runter, als ob man an einem kalten Tag in die heiße Badewanne steigt. Da ist es wieder. Ein fernes, klagendes Stöhnen. Ich versuche mich zusammenzureißen, aber die Laute jagen mir Angst ein. Ich will nicht hier sein, an diesem unheimlichen Ort! Alles hier riecht nach Unheil, jeder Ziegelstein, jedes Fenster. Die Hunde machen mir Angst, Owen und Lucas, die Menschenfallen. Und vor allem das Stöhnen. Aber ich will trotzdem wissen, wo es herkommt.
Ich gehe dem Geräusch nach, zwischen ein paar Nebengebäuden hindurch, bis ich zum Park mit seiner freien Fläche komme. Ich halte mich dicht am Hauptgebäude, folge einem schmalen betonierten Weg, der im Mondschein grau schimmert. Ich gehe langsam und lautlos. Bei jedem Schritt rechne ich damit, dass gleich Metall klirrt und mir ein unerträglicher Schmerz das Bein hochschießt. Die ganze Zeit lausche ich angestrengt.
Hoffentlich, hoffentlich muss ich das Haus nicht betreten! |272| Nicht im Dunkeln. Ich würde vor lauter Angst tot umfallen. Womöglich stürze ich wieder in einen Keller.
Das Gebäude steht groß und wuchtig zwischen mir und dem Wald, ich kann nicht sehen, was Owen und die anderen dort treiben. Die Mauer macht eine Kurve, dann verläuft sie wieder gerade. Vielleicht war hier früher noch ein Park. Schiefe Gewächshäuser mit kaputten Scheiben lehnen halb zusammengefallen an der Mauer, ein alter Rasenmäher mit morschem Griff liegt auf der Erde und ist schon fast von Unkraut überwuchert. Weiter vorn ist eine Tür. Sie hängt schief in den Angeln. Ich gehe hindurch. Hinter der Mauer führt ein Trampelpfad durchs hohe Gras. Die Klagelaute sind schon eine ganze Weile verstummt. Vielleicht war es ja nur Einbildung oder die Eule von vorhin. Kos kann es nicht gewesen sein. Er hat sich bestimmt versteckt, er ist ja nicht blöd. Ich kann nach Hause gehen, die Polizei anrufen und ihnen einen anonymen Hinweis darauf geben, dass sich auf dem alten Klinikgelände ein Trupp bewaffneter Besoffener herumtreibt. Hierzubleiben wäre bescheuert. Ich drehe mich um. Weiter entfernt im Wald wandern Lichtkegel an den Bäumen hoch. Mir kann nichts passieren.
Da höre ich es wieder. Ein angstvolles Stöhnen, ein Schmerzenslaut wie von einem Tier. Ein Tierlaut aus dem Mund eines Menschen. Und die Laute kommen aus dem Hauptgebäude.
Ich muss nachschauen gehen.
»Was haben sie dir angetan, Kos?«, flüstere ich.
|273| IN DER WÄSCHEREI
Als ich den leisen Klagelauten folge, ist mein Magen vor Anspannung ganz verkrampft. Ich gehe über einen kiesbestreuten Hof, der wie das ganze Gelände voller Müll und Unkraut ist. Eine kleine Seitentür steht weit offen. Ich gehe darauf zu. Wieder dieses Stöhnen. Ich komme mir sehr klein und verletzlich vor. Was
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