Verfolgt
mache ich hier? Ich strecke nur ganz kurz den Kopf durch die Tür, dann gehe ich endlich nach Hause. Kos ist bestimmt woanders, hat sich gut versteckt. Vielleicht jault da drin nur einer seiner Hunde, der gerade schlecht träumt.
Dort drinnen bewegt sich etwas, ächzt und schnauft. Man hört es bis in den Hof. Es klingt bedrohlich. Nach Tier. Am liebsten würde ich weglaufen.
Ich trete auf etwas Feuchtes. Erst denke ich, dass sich einer von Kos’ Hunden im Unkraut verewigt hat, aber es stinkt nicht nach Hundekacke, sondern riecht irgendwie metallisch. Auf dem Kies sind dunkle, nasse Flecken. Ich mache sofort die Augen fest zu.
Ich glaube, ich laufe durch Blut.
Ich halte mich gern für ein zähes Mädchen, das vor nichts zurückschreckt, nicht so eine Zimperliese. Ich kann |274| Auto fahren, Schlösser knacken, mich prügeln und schnell rennen. Anders als die meisten meiner Freundinnen kann ich ein Kabel richtig anschließen und eine Sicherung wechseln. Ich kann Reifen flicken, mit Fernbedienungen umgehen und auf Bäume klettern. Wenn ich das nicht könnte, käme ich mir dumm vor. Klar bin ich auch irgendwie ein typisches Mädchen, mag Klamotten und Klatsch und so. Ich bin einfach gern unabhängig. Aber es gibt etwas, womit ich überhaupt nicht klarkomme: Blut. Ich kann einfach kein Blut sehen. Mein eigenes geht noch, aber wenn jemand anders blutet, wird mir sofort schwindlig und schlecht. Eiskalt wird mir dann.
Ein paarmal ist Devlin mit blutiger Nase von einer Prügelei nach Hause gekommen. Er hatte das ganze Gesicht voller Blut, sogar in den Ohren. Ich kann so was nicht sehen. Mein Exfreund Chas hat einen Finger verloren, da war nur noch ein Stummel. Gruselig. Ich konnte gar nicht hinschauen. Ich kann noch nicht mal an Blut denken! Blut ist mein wunder Punkt, darauf bin ich wahrhaftig nicht stolz.
Einmal musste Devlins Kinn genäht werden. Wir saßen beim Arzt im Wartezimmer, aber Dad hat gerade telefoniert, also bin ich mit reingegangen. Um Devlin aufzumuntern, hab ich so getan, als wäre das Nähen bloß ein Klacks, aber ich hatte die ganze Zeit einen Druck auf der Brust, bis ich keine Luft mehr bekam. Ich musste mittendrin rausgehen, beziehungsweise raustorkeln. Ich habe mich auf eine Bank gesetzt und den Kopf zwischen die |275| Knie gesteckt. Es war mir entsetzlich peinlich. Blut … ich brauche nur das Wort auszusprechen, schon wird mir schwummerig. Dabei könnten wir ohne Blut nicht leben. Blut ist etwas so Kostbares, dass man es nicht vergießen sollte, auch nicht den kleinsten Tropfen.
Krankenschwester wäre nichts für mich.
Auch jetzt spüre ich die Übelkeit kommen. Obwohl ich mir nicht mal sicher bin, ob es sich bei den Flecken tatsächlich um Blut handelt, aber die bloße Möglichkeit genügt schon. Ich atme langsam und gleichmäßig, ein und aus, ein und aus …
Aaaahhhh …
Es hört sich an, als ob jemand eigentlich leise sein will, es aber vor Schmerzen nicht aushält. Ich gehe jetzt ins Haus, auch wenn das Irrsinn ist.
Mit angehaltenem Atem steige ich die Treppe hoch und trete durch die Tür.
Ein dünner Mondstrahl fällt durch das eingeschlagene Fenster. An der Wand hängt eine Doppelspüle, drei schmale Tische sind in einer Reihe aufgestellt. Ich fasse einen an und fahre zusammen. Der Tisch ist aus Porzellan und eiskalt. Ich knipse die Taschenlampe an und leuchte einmal rundherum. Der Wandanstrich blättert, dicke, rostige Rohre laufen an der Decke entlang. Die Tür in der Wand gegenüber ist ausgehängt und lehnt an der Wand. Ich mustere den Fußboden. Er macht einen tragfähigen Eindruck, hängt aber in der Mitte durch. Dort ist ein großer Abfluss mit einem Gitter. Ich mache ein paar Schritte in |276| den Raum hinein. Ein zerfledderter Zettel klebt an der Wand. Darauf hat jemand getippt:
Essen und Trinken in der Leichenhalle verboten!
Igitt! Ich lasse beinahe die Taschenlampe fallen. Hier wurden die Toten aufgebahrt! Und ich fasse auch noch den Tisch an! Ich mag mir nicht vorstellen, wie hier früher die verstorbenen Irren gelegen haben.
Da ächzt es wieder. Es kommt aus dem Inneren des Gebäudes.
»Wo bist du, Kos?«, flüstere ich. Die Spur aus dunklen Flecken führt durch die Tür. Mit zusammengebissenen Zähnen tappe ich durch den Raum. Ich muss noch weiter in das Gebäude hinein. Ich folge der Spur und verdränge den Gedanken daran, was sie womöglich zu bedeuten hat. Ich bezwinge meine Angst, ich rede mir gut zu, dass die eigentliche Gefahr – nämlich Owen und
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