Verfolgt
den Blick auf sein Bein zu richten. Ich muss tief durchatmen, als ich die grausamen Eisenzähne in seiner Wade und den verdreht abgewinkelten Unterschenkel erkenne. Ich kann echt kein Blut sehen. Mir tanzen Pünktchen vor den Augen. Ich kann nicht glauben, was ich sehe, und ich will nichts damit zu tun haben. Kos zittert und stöhnt. Er zerrt an der Falle, lässt aber gleich wieder los.
Ganz ruhig, Lexi, rede ich mir gut zu. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich hole tief Luft und fühle mich ein bisschen besser. »Was machst du aber auch für einen Unsinn? Hast du es drauf angelegt, dass ich dich noch mal küsse, hm? Aus lauter Mitleid?« In dem Stil plappere ich weiter, betaste |280| dabei die Falle und überlege, wie ich ihn davon befreien kann. Dann schlingt er mir auf einmal die Arme um den Hals. Ich knie mich auf den schmutzigen Boden und wir halten einander ganz fest. Er ist so mager, dass es mir vorkommt, als hielte ich ein Kind im Arm.
Auf einmal lässt er mich los, stößt mich weg, dreht sich um und jammert leise.
Im Zwielicht erkenne ich eine Kette und einen langen, erdverkrusteten Eisenpflock. Anscheinend hat er ihn selbst herausgezogen, weiß der Himmel wie. Dann hat er sich hierhergeschleppt. Ich beiße die Zähne zusammen, knipse die Taschenlampe an und beleuchte die Falle. Sie ist fest zugeschnappt. Im Lichtschein erkenne ich lose Hautfetzen und Blut, viel, viel Blut. Ich will Kos noch einmal küssen, überlege es mir aber anders. Irgendwie ist es nicht er. Er ist jetzt wie ein gequältes Tier, das in der Falle sitzt. Ich schiebe sein Hosenbein hoch, werfe einen Blick auf die Wunde und schaue gleich wieder weg. Ich glaube, ich habe unter dem dunklen Blut und der zerfetzten Haut den weißen Knochen gesehen. Mir dreht sich der Magen um und mir wird schwindlig. Ich betaste die Falle. Das Metall ist kalt und hart. Ich greife in die Eisenbacken und versuche sie auseinanderzuziehen. Sie sind verrostet. Ich ziehe so fest, dass ich schon fürchte, mir platzen die Äderchen in den Augen, aber nichts rührt sich, ich breche mir bloß die Fingernägel ab. Dann gibt die Falle doch ein kleines bisschen nach, aber weil alles glitschig von Blut ist, rutsche ich ab und die Eisenzähne graben |281| sich wieder in Kos’ Bein. Er schreit gellend auf und ich kämpfe mit den Tränen.
»Das wollte ich nicht. Ist ja gut. Das wollte ich wirklich nicht.« Noch einmal versuche ich das nicht. Ich muss die Blutung stillen. Aber wie, wenn er die Falle noch im Bein hat? Mit Erster Hilfe kenne ich mich nicht aus. Ich sehe ihn ratlos an. »Keine Angst, ich helfe dir«, wiederhole ich mit gespielter Zuversicht, bin aber insgeheim verzweifelt. Ich habe Angst, dass er sich das Bein abreißt, wenn er weiter so herumzappelt. Ich kann nicht hinsehen, geschweige denn die Wunde irgendwie versorgen.
Wie lindert man solche Höllenqualen? Ich ziehe die Jacke aus und lege sie ihm um die Schultern. Seine Atemzüge klingen wie das heisere Schnaufen eines alten Mannes, ganz schrecklich. Ich hole mein Handy aus der Tasche. Vielleicht ist ja ein Wunder geschehen und ich habe hier Empfang, aber das Display zeigt nicht mal einen Balken. Wir müssen allein klarkommen. Ich muss diese Scheißfalle abkriegen! Ich sehe mich nach einem Hilfswerkzeug um und mein Blick fällt auf einen abgebrochenen Besenstiel, der an der Wand lehnt. Den hole ich mir, dann ziehe ich Kapuzenjacke und T-Shirt aus, wobei ich mich von Kos abwende. Die Kapuzenjacke ziehe ich wieder an, das T-Shirt rolle ich zu einer Wurst zusammen. Ich wische mir die Hände an der Hose trocken, dann fasse ich wieder in die Falle.
»Nein, Lexi!«, stöhnt Kos dumpf, aber ich lasse mich nicht beirren. Es muss sein. Wenn ich Kos hier entdeckt |282| habe, kann auch Owen jederzeit auftauchen. Wieder gelingt es mir, die Falle einen Spalt zu öffnen, und diesmal halte ich sie mit aller Kraft offen, bis ich einen Krampf in den Fingern bekomme. Mit der anderen Hand stopfe ich die Stoffwurst zwischen die Eisenzähne und Kos’ Bein. Wenn die Falle wieder zuschnappt, muss sie sich erst durch acht Zentimeter Stoff bohren. Aber ich lasse sowieso nicht los. Ich greife mir den Besenstiel und schiebe ihn vorsichtig auch noch dazwischen. Kos hilft mir. Er vergisst seine Schmerzen, will sich nur noch befreien. Inzwischen kann ich mir vorstellen, wie er es geschafft hat, sich jahrelang allein durchzuschlagen. Er ist ein ganz schön zäher Bursche. Ich stemme mich auf den Besenstiel und wir hebeln die Falle mit
Weitere Kostenlose Bücher