Verführer der Nacht
vorher Sie oder jemand anders angefasst hat, und sehen, wo Sie zuvor gewesen sind. Ich kann die Geschichte von Gegenständen lesen, und ich bin telepathisch veranlagt.«
»Können Sie Ihre Gestalt wechseln?«, fragte Colby unverblümt. »Was Sie beschreiben, klingt nach derselben Spezies. Warum müssen Sie sich vor ihnen verstecken?«
»Das Muttermal. Jeder, der mit diesem Muttermal zur Welt kommt, muss sich vor Jägern und Vampiren versteckt halten, sonst töten sie ihn. Das ist ein Gesetz aus alter Zeit.«
Colby vergrub ihr Gesicht in den Händen und dachte daran, was für ein Gefühl es gewesen war, Rafaels Zunge auf ihrem Muttermal zu spüren, eine verführerische, erotische Erkundung, die sie vor Verlangen erschauern ließ. »Das glaube ich nicht, Natalya. Sie müssen sich irren.« Rafael musste die schwachen Umrisse des Mals gespürt haben. Es war leicht erhaben. Und auch wenn es versuchen konnte, sich vor ihm zu verstecken, er hatte es mehrfach mit seinen Lippen und seiner Zunge gestreift, bis sie ihn am liebsten angefleht hätte, ihr Erfüllung zu schenken. Aber später hatte er versucht, sie zu töten. Wieder rieb sie sich die pochenden Schläfen. »Ich weiß überhaupt nichts mehr. Sind Sie je von einem Jäger angegriffen worden ?«
»Nein, ich gehe ihnen ebenso aus dem Weg wie Vampiren. Vor langer Zeit gab es zwischen meiner Familie und den Jägern einen Streit, und diese Fehde reicht bis in unsere Zeit hinein.« Natalya lehnte sich zurück. »Soweit ich weiß, hat Rhi-annon, die Frau eines der Jäger, ihren Ehemann verlassen, um mit einem sehr mächtigen Mann zusammenzuleben. Es kam zu einem Bruch zwischen den beiden Parteien und später sogar zu einem Krieg. Rhiannon hatte Drillinge, zwei Mädchen und einen Jungen. Sie starb, als ihre Kinder noch klein waren, aber der Vater der Kinder lehrte sie, Jäger und Vampire zu meiden. Rhiannons Sohn ist mein Vater.«
»Und die beiden Mädchen?«
»Sind verschwunden. Niemand weiß, wo sie sind. Mein Vater hielt es für möglich, dass sie von den Jägern gefunden und getötet wurden.«
»Und wie passe ich da rein?«, wollte Colby wissen.
»Ich vermute, dass du meine Nichte bist. Mein Bruder war kurz mit einer Frau zusammen, verließ sie aber später. Du siehst ihm ähnlich, und vielleicht ist das der Grund, warum es mich in diesen Teil des Landes gezogen hat. Die Frau besaß hier in der Gegend eine Ranch.«
»Ihr Bruder ist mein Vater?« Colby war verwirrter denn je. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Rafael sie töten würde, weil eine Frau vor wer weiß wie vielen Jahren ihren Mann verlassen hatte. »Wo ist er jetzt?«
»Er ist tot.« Natalyas Ton machte unmissverständlich klar, dass sie keine weiteren Auskünfte geben würde.
Colby konnte für einen Mann, dem sie nie begegnet war, unmöglich etwas empfinden. Armando war ihr Vater, und ihn würde sie immer lieben. »Wie alt sind Sie eigentlich, Natalya?«
»Ist das wichtig? Sollen wir nicht Du zueinander sagen?« Als Colby nickte, fuhr Natalya fort: »Du wirst ihn nicht verlassen. Das weißt du. Du bist bloß nicht bereit, ihm das Wohl deiner Geschwister anzuvertrauen. Ohne dich kann ich sie nicht mitnehmen. Sie wären nicht glücklich, und wir wären alle in Gefahr. Ich kann mich schützen und an Orten ein und aus gehen, ohne von Jägern oder Vampiren entdeckt zu werden, doch solange der Vampir, der Paul gebissen hat, nicht tot ist, werden sie immer miteinander verbunden sein.« Natalya hob abrupt den Kopf. »Er ist in der Nähe. Entweder er oder ein anderer von ihnen. Ich muss gehen, Colby. Ich verlasse sofort die Stadt. Alles Gute wünsche ich dir.«
»Danke, dass ich mit jemandem reden konnte.« Colby wusste, dass Rafael in der Nähe war. Jede Zelle in ihrem Körper ging in Alarmbereitschaft. Ihr Nacken prickelte, als könnte sie schon jetzt seinen warmen Atem spüren. »Alles Gute.«
»Viel Glück, Colby. Ich werde an dich denken.« Natalya beugte sich vor und berührte sie leicht. Sofort sprang Wärme von ihren Fingerspitzen auf Colby über. Die Berührung wirkte vertraut. Natalya stand auf und nickte. »Wir sind eindeutig miteinander verwandt. Sei bitte ganz, ganz vorsichtig!«
Colby nickte. »Du auch.« Mit unruhig klopfendem Herzen beobachtete sie, wie Natalya sich schnell durch die Tische zum Ausgang schlängelte. Sie wusste genau, in welchem Moment Rafael die Bar betrat. Er war am Leben, und das war im Augenblick alles, was zählte. Er musste sich nicht nach ihr umschauen
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