Verführer der Nacht
konnte Rafaels Bewusstsein nicht erreichen. Sie versuchte es immer wieder, aber sein Geist blieb ihr verschlossen. Colby wusste nicht, ob er verletzt oder tot war oder sie einfach nur schützen wollte. Ihre Haut prickelte. »Es ist wie eine schreckliche Sucht. Ich denke ständig an Rafael. Ich bin eine starke Persönlichkeit, doch ich komme einfach nicht von ihm los.« Sie sah Natalya flehend an. »Ich muss es entweder schaffen, ihm zu vertrauen oder dafür sorgen, dass die Kinder in Sicherheit sind. Ich fürchte, für mich ist es schon zu spät.«
»Wo ist er?« Wieder schaute sich Natalya um. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Ihnen besonders viel Freiraum lässt, wenn Sie ihm nicht geben, was er will.«
»Im Moment ist er unterwegs, um mit dem Vampir zu kämpfen. Er sagt, wenn er ihn nicht zerstört, wird diese Kreatur immer Macht über Paul haben.«
Natalya nickte. »Ich fürchte, er hat recht.«
Die dröhnende Musik in der Bar hallte laut in ihrem Kopf wider. Colby presste ihr Glas mit Eiswasser an ihre Stirn. »Ich hasse diese Unentschlossenheit. Mein ganzes Leben lang habe ich immer gewusst, was ich will, und habe einfach gehandelt. Und auf einmal weiß ich nicht mehr, in welche Richtung ich mich wenden soll. Verglichen mit Pauls Leben erscheint die Ranch plötzlich nicht mehr besonders wichtig. Ich möchte doch bloß, dass meine Geschwister glücklich sind und ein normales Leben führen können.«
Natalya sah Colby forschend an. »Was ist los? Warum sind Sie hergekommen?«
Colby seufzte. »Ich wollte mit Ihnen weglaufen. Die Kinder nehmen und einfach verschwinden. Und ich will Antworten. Ich brauche Antworten, und ich glaube, Sie können sie mir geben.« Nervös trommelte sie mit ihrem Fingernagel auf die Tischplatte. »Sie haben ein Muttermal erwähnt. Ein Mal in Form eines Drachens. Ich habe auch ein solches Mal. Es ist sehr schwach, und wenn man nicht genau hinschaut, kaum zu erkennen. Es brennt nicht wie Ihres, aber es ist da.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Natalya rückte näher und starrte sie ungläubig an. »Sind Sie sicher? Das hätten Sie mir beim letzten Mal erzählen müssen.«
»Es hat etwas zu bedeuten, oder?«, fragte Colby.
»Hat der Jäger es gesehen?« Trotz Colbys scharfem Gehör war Natalyas Stimme kaum zu hören.
»Er heißt Rafael.«
»Ich will seinen Namen nicht aussprechen. Ich möchte seine Aufmerksamkeit nicht auf mich lenken. Hat er das Mal gesehen?«
»Es ist sehr schwach und verblasst manchmal so sehr, dass selbst ich es kaum erkennen kann. Warum würden Sie seine Aufmerksamkeit erregen, wenn Sie seinen Namen aussprechen?«
»Wo befindet sich dieses Muttermal?«, hakte Natalya nach, ohne Colbys Frage zu beachten.
»An der gleichen Stelle wie bei Ihnen, unten links auf meinem Bauch. Können uns die Vampire daran erkennen? Ruft dieses Mal sie zu uns? Erzählen Sie es mir! Ich muss es auch wissen. Natalya, ich frage nicht meinetwegen, sondern wegen meines Bruders.«
»Haben Sie mit dem Jäger geschlafen?«
»Ja. Das wissen Sie doch.«
»Dann haben Sie ein Mal, das verblasst, um Sie zu schützen, andernfalls hätte er es gesehen. Es versteckt sich vor ihm.«
Colby wäre am liebsten mitten in der Bar aufgesprungen, um laut zu kreischen. »Sie machen es mir nicht unbedingt leichter. Erzählen Sie mir einfach, was es damit auf sich hat.«
»Wenn Sie dieses Muttermal haben, sind Sie irgendwie mit mir verwandt. Wir entstammen einer sehr alten Linie. Es gibt nur noch wenige von uns.« Natalya wählte ihre Worte offensichtlich vorsichtig. »Da der Jäger das Mal nicht sehen kann, muss es sich vor ihm verstecken.«
»Warum kann er es nicht sehen?« Colby stieß die Worte beinahe zischend zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Warum sagen Sie es mir nicht? Sehen Sie denn nicht, wie verzweifelt ich bin? Ich kann nicht ohne ihn sein. Ich weiß nicht, wie man das, was er mit mir angestellt hat, rückgängig machen kann, und ehrlich gesagt, ich bin über den Punkt hinaus, mir zu wünschen, ihn nicht mehr in meinem Leben haben zu wollen. Ich habe das schreckliche Gefühl, dass ich mich in ihn verliebt habe. Er ist zu so wundervollen, heldenhaften Taten fähig, dass es mir das Herz zerreißt. Sagen Sie mir bitte, was Sie wissen.«
»Leider weiß ich nur, was mir mein Vater erzählt hat, und das ist nicht viel. Ich lebe schon sehr lange, Colby, und ich altere kaum. Sie glauben, dass ich in Ihrem Alter bin, doch ich bin viel älter. Ich kann Dinge berühren, die
Weitere Kostenlose Bücher