Verführer der Nacht

hier zu treffen. Der Zaun muss schon am Boden liegen, ehe du dich bequemst, ihn zu reparieren.«
    Sie schwang sich geschickt in den Sattel, weil sie vor Tony nicht so klein dastehen wollte, schob ihren Hut zurück und zuckte lässig die Schultern. Colby hatte Tony Harris noch nie gemocht. Sie kannte ihn seit Jahren, lange bevor Daniels ihn eingestellt hatte. Er hatte etwas Gemeines an sich. Sein Ruf als brutaler Schläger war legendär, fast ebenso wie sein Erfolg bei Frauen. Colby, die von seinem berüchtigten Charme nichts entdecken konnte, war entsetzt, wie viele Frauen seinetwegen körperlich, geistig und seelisch gelitten hatten und ihn trotzdem umschwärmten wie die Motten das Licht.
    Ihr lief es bei seinem Anblick immer kalt den Rücken hinunter.
    Sie schob den Handschuh in ihren Gürtel und zog eine Augenbraue hoch. »Willst du mir nicht sagen, was du auf meinem Grund und Boden zu suchen hast?« Sie zwang sich zu einem Lächeln, obwohl ihr die Art und Weise, wie sein Blick über ihren Körper glitt, eindringlich bewusst machte, wie allein sie hier draußen waren.
    Er grinste boshaft. »Vielleicht habe ich dich ja gesucht. Die Eisprinzessin. Die kleine Jungfrau, die sich für die lieben Kleinen opfert. Wir wollen doch alle gern wissen, wer dir mal das Herz brechen wird.« Er lachte laut, und sein Lachen klang in der Stille der stummen Berge hässlich und misstönend.
    »Du nicht, Tony«, versicherte sie ihm kühl. »Du bist für meinen Geschmack viel zu bösartig.«
    »Du meinst, ich bin viel zu sehr Mann«, gab er zurück und trat näher an ihr Pferd heran.
    Colby zog eine Augenbraue hoch. »Ich habe gehört, dass man im Wayside Saloon Komiker sucht. Warum versuchst du da nicht mal dein Glück?«
    »Könnte ich machen.« Er stand direkt vor ihr, nahe genug, dass sie die Gedanken lesen konnte, die hinter seinem zu hübschen Gesicht lauerten. »Ich wollte dich schon immer mal für mich haben, nur für ein paar Stunden«, sagte er leise, fast wie zu sich selbst. »Ständig sitzt du auf dem hohen Ross; es wäre ganz nett, zur Abwechslung mal zu sehen, wie du mir zu Füßen liegst.«
    Colby lachte ihm offen ins Gesicht. »Du hast eine lebhafte Fantasie, Tony. Das ist eine tolle Vorstellung, aber ich muss leider passen. Ich habe viel zu viel zu tun. Was machst du denn jetzt auf meinem Land? Doch nicht nach verirrten Kälbern suchen, oder?«
    »Willst du mir irgendwas unterstellen?«, brauste er wütend auf und trat drohend noch einen Schritt näher.
    Domino, dem die Nähe des Mannes nicht gefiel, tänzelte unruhig hin und her. Colby lenkte ihr Pferd gelassen zur Seite und ließ dabei das Gewehr quer auf ihrem Schoß liegen. Der Lauf war gesenkt, aber unmissverständlich auf Harris' kräftige Gestalt gerichtet.
    »He, Tony, hast du die Tiere zurückgetrieben?« Die Stimme, die die Frage blaffte, kam von den Felsen in der Nähe.
    Colby wandte den Blick nicht von Harris. Sie erkannte die Stimme nicht, doch Harris machte ein triumphierendes Gesicht, wodurch er noch gemeiner als vorher wirkte. »Na klar, aber Miss Jansen ist längst nicht so dankbar, wie sie sein sollte. Vielleicht braucht sie eine Lektion, wie man richtig mit einem Kerl umgeht.«
    Der zweite Mann kam hinter den Felsen hervor und in Colbys Blickfeld. Er war ihr völlig fremd, hatte dunkle Haare, einen leichten Bartschatten und schlaue, abschätzende Augen. Sie waren blutunterlaufen und tränten stark, und der Mann setzte sich eine dunkle Sonnenbrille auf, aber nicht bevor Colby seinen Gesichtsausdruck gesehen hatte. Tony Harris ging ihr auf die Nerven, doch dieser Mann machte ihr regelrecht Angst. Harris war ein Rüpel, dieser Fremde war durch und durch schlecht. Daniels hatte wirklich eine tolle Mannschaft beisammen ! Höchstwahrscheinlich wurde er schamlos bestoh-len. »Ihr habt also meine Rinder zurückgebracht«, sagte sie nachdenklich.
    »Stimmt genau, Colby. Deine kleinen Mistviecher bleiben einfach nicht da, wo sie hingehören.« Tony trat noch näher an sie heran und starrte sie aus glühenden Augen an.
    »Was zum Teufel dauert hier so lange?« Daniels persönlich kam herbeigeschlendert und warf seinem Vormann einen verärgerten Blick zu. »Mach dich wieder an die Arbeit, Harris ! Es wären nicht zwei von euch nötig gewesen, um ein paar Stiere zurückzubringen. Und ihr hättet den Zaun in Ordnung bringen können.« Er entließ die beiden Männer mit einer Handbewegung und ignorierte Harris' leises Murren ebenso wie das unverschämte Grinsen des