Verführer der Nacht
absichtlich einen kleinen Erdrutsch ausgelöst, um den Eindruck zu erwecken, Pete wäre ausgerutscht und nach unten gefallen. Tatsächlich lag er jedoch genau an der Stelle, an der er getötet worden war. Darauf hätte Ben seinen guten Ruf verwettet. Colby war eine hervorragende Fährtenleserin, und sie hatte recht mit ihrer Annahme, dass Pete in die Knie gegangen war, bevor er nach hinten gekippt war.
Ben hatte die Fingernägel des alten Mannes untersucht. Nicht der kleinste Erdkrümel wies darauf hin, dass Pete sich an die Felswand geklammert hatte, was er mit Sicherheit getan hätte, wenn er abgestürzt wäre. Und die Blutspuren stimmten nicht mit einer tödlichen Kopfverletzung infolge eines Sturzes überein. Der Leichnam war von Raubvögeln zerrissen worden, was bei der Spurensicherung keine Hilfe war, aber Ben hatte an Petes Körper andere, sehr beunruhigende Verletzungen festgestellt, die er Colby gegenüber nicht erwähnt hatte. Es waren Bisswunden- Bisse von menschlichen Zähnen, als hätte jemand versucht, Pete nach seinem Tod auszuschlachten. Ben war überzeugt, dass die Bisse dem alten Mann nach Eintreten des Todes beigebracht worden waren. Insgesamt ein bizarrer und sehr beängstigender Vorfall in einer Gegend, in der es kaum jemals Schwerverbrechen gab. Colby musste die Bisswunden ebenfalls gesehen haben, doch er würde sie nicht zwingen, darüber zu sprechen. Wieder fluchte Ben leise, während er Colbys zierliche Gestalt betrachtete. »Geh heim, Süße! Ich rufe dich an, wenn ich mehr weiß.«
Colby nickte. Ihr war auf einmal sehr kalt. Was hatten Tony Harris und der andere Arbeiter wirklich auf ihrem Grund und Boden gemacht? Was hatten Everetts Reiter und einer der Chevez-Brüder so weit von der Everett-Ranch verloren ? Hatte einer ihrer Nachbarn Pete ermordet? Wer würde von einem so brutalen Gewaltakt profitieren? Sie fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Ihr graute davor, es Ginny und Paul zu sagen.
»Du kannst nichts mehr für ihn tun, Colby. Sieh zu, dass du nach Hause kommst. Du quälst dich nur selbst, wenn du noch länger hierbleibst.« Ben war unnachgiebig. »Es wird einige Tage dauern, bis die Leiche freigegeben wird. Ich rufe dich an und helfe dir bei allen Formalitäten, das verspreche ich dir. Bleib inzwischen in der Nähe des Hauses – keine einsamen Ritte mehr in die Einöde.«
Colby nickte langsam und drehte sich mit hängenden Schultern um. Ben hatte recht; sie konnte Pete nicht zurückholen, und es hatte keinen Sinn, noch länger damit zu warten, es den Kindern zu erzählen. Paul wusste wahrscheinlich schon Bescheid. Er besaß ein Fernglas und hatte die Ankunft des Sheriffs und seines Teams vermutlich verfolgt. Sie schwang sich in den Sattel und ritt entschlossen nach Hause.
Unterdessen lag Rafael hilflos tief in der Erde, eingeschlossen in dem schweren, gehaltvollen Boden und außerstande, Colby zu trösten. Das Blutsband zwischen ihnen bewirkte, dass er beliebig an ihr Bewusstsein rühren und ihre Gedanken lesen konnte. Sie brauchte ihn, brauchte seinen Halt und seinen Trost. Ihrem Bruder und ihrer Schwester zuliebe bemühte sie sich, tapfer zu sein, doch sie weinte. Tief in ihrem Herzen und in ihrer Seele weinte sie. Ihr Schmerz war so groß, dass er in Rafaels verjüngenden Schlaf eingedrungen war und ihn geweckt hatte, um ihn an ihrem Leid teilhaben zu lassen. Seine Brust tat weh, so schwer lasteten ihre seelischen Qualen auf seinem Herzen. Er sehnte sich schmerzhaft nach ihr, sehnte sich danach, sie in die Arme zu nehmen und zu trösten.
Es war eine völlig neue Erfahrung für ihn, etwas für ein anderes Wesen zu empfinden. Echte Empfindungen zu haben. Er hatte vergessen, wie es sich anfühlte. Es erfüllte ihn mit Demut, an sie und den einsamen Kampf zu denken, den sie ausfocht, um ihr Versprechen an ihren Stiefvater zu halten. Colby war allein und verängstigt. Sie kämpfte gegen einen unsichtbaren Feind und wusste nicht, was dieser Feind wollte oder warum sie angegriffen wurde, aber sie war wild entschlossen, ihre Ranch und ihre geliebten Geschwister zu verteidigen. Rafael konzentrierte sich darauf, die geistige Verbindung zwischen ihnen aufrechtzuerhalten. Ihr Geist war sehr komplex und wurde von Barrieren geschützt, die er immer noch nicht durchbrochen hatte. Aber Colby gehörte zu ihm. Sie war seine Gefährtin. Ihr Blut und ihre Seele riefen nach ihm. Rafael war Teil ihres Herzens und ihrer Seele. Es war seine Pflicht, Colbys Wohlergehen und Glück über alles
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