Verführer der Nacht
lächelte in sich hinein. Ihn zu reiten war nie leicht, aber genau das, was sie nun brauchte. Es würde sie von Rafael De La Cruz ablenken.
Nach einem Ritt von einer Dreiviertelstunde stieg sie ab und führte Domino am Zügel, um die Ruhe und den Frieden ihrer Umgebung genießen zu können, während sie nach einem Lebenszeichen von Pete suchte. Die Cascade Mountains erstreckten sich über eine Länge von siebenhundert Meilen von Kalifornien über Oregon und Washington bis nach Kanada. Der Gebirgszug war aus Feuer entstanden, nicht aus Eis.
Neben einer Reihe von Vulkanen gab es hier dichte Wälder, eine Unzahl von Wasserfällen und Stromschnellen und weite Schneefelder. Der Columbia River schnitt das Gebirge buchstäblich in zwei Teile. Bewacht von drei hohen Vulkanen schossen Wildwasserbäche mit atemberaubender Geschwindigkeit durch steile Felsschluchten. Mit ihren Lavafelsen, Seen, Flüssen und üppigen, immergrünen Wäldern waren die Cascades ebenso unvergleichlich in ihrer Schönheit wie in ihrer unterschwelligen Wildheit.
Colby stand am Rand einer Klippe und schaute nicht nach unten, sondern zu der blanken Felswand hinauf, die über ihr aufragte. Diese Berge mit ihren gewaltigen Ausmaßen waren Ursprung unzähliger Legenden. Kaum jemand wagte sich in das riesige Gebiet ungezähmter Wildnis mit den tiefen, undurchdringlichen Wäldern, gefährlichen Schluchten und hohen Gipfeln. An den Lagerfeuern erzählte man sich Gruselgeschichten von einem ohrenbetäubenden Heulen, das manchmal aus dem Inneren der Berge erklang, und von dem legendären Big-foot, der Eindringlinge verschleppte und nie wieder entkommen ließ.
Colby stieß einen leisen Seufzer aus und bückte sich, um eine kleine Wildblume zu pflücken, die zwischen den Felsen tapfer ums Überleben kämpfte. Sie liebte die Ruhe in den Bergen und konnte stundenlang hier sitzen, um sie zu genießen. Das bedeutete allerdings keineswegs, dass sie in ihrer Wachsamkeit nachließ. Selbst Colby, die sich in den Bergen besser auskannte als irgendjemand sonst in der Gegend, wurde hier nie leichtsinnig. Auf einer Ranch aufgewachsen, die sich in ein kleines Tal in den Ausläufern der hohen Berge schmiegte, war sie sich der geheimnisvollen und unerklärlichen Phänomene dieses Landstrichs nur zu bewusst. Ein scharfer, widerwärtiger Geruch, der aus dem Nichts aufstieg. Die beklemmende Stille, die sogar die Insekten respektierten. Die Momente, in denen man sich beobachtet fühlte, das Unbehagen, das einem eine Gänsehaut verursachte.
Die meisten Besitzungen lagen weiter unten, etliche Hundert Meter unterhalb der Chevez-Ranch. Clinton Daniels' Land grenzte im Süden an Colbys Grund und Boden, aber nur Sean Everetts zwanzigtausend Hektar lagen höher als ihr Land. Alles, was sich dahinter befand, war Staatseigentum. Everett hatte um einen Großteil des Landes mit dem Staat gefeilscht und den Rest von kleinen Nebenerwerbsfarmern gekauft. Wie Colby schien er die Berge zu lieben und ein relativ zurückgezogenes Leben zu führen. Sein Fuhrpark, ganz zu schweigen von der kleinen Piper und dem Hubschrauber, ließ sie vor Neid erblassen.
Die Angestellten der Everetts, die mit ihren Familien in behaglichen Häusern auf dem Gelände der Ranch lebten, blieben hauptsächlich unter sich, obwohl Colby sie alle beim Namen kannte und mit einigen von ihnen befreundet war. Sie schienen gute Arbeit zu leisten. Everetts Ranch machte einen tadellosen Eindruck, und sein Vieh blieb auch in harten Wintern fett. Einige der Arbeiter, die noch nie auf einer Ranch gearbeitet hatten, bis Sean ihnen ein Heim gegeben hatte, fingen an, sich für Rodeo-Reiten zu interessieren.
Colby lächelte in sich hinein, als sie nach Dominos Zügeln langte. Sie hatte geschäftlich viel mit Männern zu tun und sich den Ruf eines guten und zuverlässigen Ranchers mit einem untrüglichen Gespür für Pferde erworben. Das gab ihr Zuversicht, Selbstvertrauen und Lebensfreude. Sie war einer jener glücklichen Menschen, die ihr Leben akzeptierten und das Beste daraus machten.
Leichtfüßig schwang sie sich in den Sattel, dessen Leder mit einem vertrauten Knarren nachgab. Während sie ihren Hut zurechtrückte, um ihre Augen vor den Strahlen der aufgehenden Sonne zu schützen, lenkte sie ihr Pferd zum entlegensten Winkel ihres Besitzes. Der Zaun dort war schon seit einer Weile morsch, und im Gegensatz zu Colby hatten ihre Rinder eine Vorliebe für diese raue, abgelegene Gegend. Vielleicht war Pete hergekommen, um den Zaun
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