Verführer der Nacht
zählten nicht, nur die Pferde. Flammen leckten hungrig am Türrahmen, tanzten über das Dach und rasten die Wände hinauf. Gegen ein solches Inferno schien die Sprinkleranlage machtlos zu sein. Was war mit dem Feueralarm? »Zurück, Ginny! Geh da nicht hin!«, befahl sie ihrer Schwester scharf, die eben angelaufen kam.
»Colby! Nein!« Paul packte sie am Arm, um sie daran zu hindern, diese Hölle aus Rauch und Flammen zu betreten. Die Hitze auf ihren Gesichtern und ihrer Haut war nahezu unerträglich.
Sie fuhr herum und versuchte, sich zu beruhigen. Es war unmöglich, tief einzuatmen, ohne den dichten Rauch in die Lungen zu bekommen. »Ginny, ruf erst neun-eins-eins an und dann Sean Everett.« Die Everetts waren ihre nächsten Nachbarn. »Paul, schütte Wasser auf den Eingang, aber geh nicht zu nah ran. Das ist mein Ernst. Der Stall kann jeden Moment in sich zusammenbrechen. Geh auf keinen Fall rein, egal, was passiert! Das ist ein Befehl.« Sie drehte sich um und lief zum Eingang des brennenden Gebäudes.
»Nein!«, schrie Paul, doch Colby war bereits verschwunden, von gierigen Rauchschwaden wie von einem riesigen schwarzen Umhang verschlungen.
Sie konzentrierte sich auf die Türen der Boxen und versuchte, sie mit ihren telekinetischen Kräften zu öffnen, aber nichts rührte nicht. Colby wusste nicht, ob es an ihrer Verzweiflung oder an den Schreien der Tiere lag, dass sie sich nicht richtig konzentrieren konnte, doch ihr blieb nichts anderes übrig, als ganz in den Stall hineinzugehen.
Neunzehn Tiere, sie hatte neunzehn Pferde in den Boxen!
Colby zwang ihren betäubten Verstand zu arbeiten. Ihre Augen tränten vom Rauch, und das Feuer dröhnte in ihren Ohren. Es war unmöglich, in den bedrohlichen schwarzen Rauchschwaden etwas zu erkennen. Die Hitze war unerträglich, der Lärm ohrenbetäubend und beängstigend. Die Pferde waren außer sich, in Panik geratene Tiere, die in dieser Verfassung eine Bedrohung darstellten.
Colby tastete sich an der langen Reihe von Boxen entlang. Eine nach der anderen riss sie die Türen auf und versuchte dabei, den Atem anzuhalten. Ihre Augen tränten unaufhörlich, und allmählich verlor sie die Orientierung. Domino tauchte mit Schaum vor dem Maul unvermittelt vor ihr auf. Colby hustete zu stark, um ihn beruhigen zu können. Er bäumte sich auf und schlug knapp vor ihrem Gesicht mit seinen Vorderhufen in die Luft. Colby wich zurück, stolperte und fiel hin. Domino donnerte an ihr vorbei, so dicht, dass er beinahe auf sie getreten wäre. Sein linker Hinterhuf riss eine Wunde in ihren Oberschenkel, als er an ihr vorbeistürmte.
Dicht über dem Boden war die Luft ein wenig besser, und ihre schmerzhaft brennenden Lungen sogen sie begierig ein. Colby schaffte es, ihre zitternden Beine unter sich zu ziehen, sich aufzurappeln und nach vorn zu bewegen. Mit rudernden Armen und schreiend, stolperte sie zu den angsterfüllten Pferden, die in wildem Galopp zum Ausgang rasten. Das offene Tor brannte ebenfalls, aber nicht so lodernd wie die Wände des Gebäudes. Colby taumelte hinter den Pferden her und sank hustend und würgend zu Boden.
Harte Hände packten sie, zogen sie weg vom Eingang und brachten sie in Sicherheit. Rafael rettete sie aus den Flammen. Als er das Blut von der schmerzenden Wunde an ihrem Oberschenkel witterte, erhob der Dämon in seinem Inneren sein Haupt und schrie laut nach Rache.
Ein Teil des Dachs stürzte ein, und irgendwo mitten in dem flammenden Inferno schrie ein Tier so qualvoll auf, dass plötzlich Totenstille im Hof herrschte. Colby war die Erste, die reagierte. Sie wand sich aus Rafaels Armen und rannte direkt zum brennenden Stall zurück. »Paul, mein Gewehr!«
Ohne lange zu fackeln hielt Rafael sie fest und schrie den anderen Männern im Hof einen Befehl zu. Er brachte Colby zur Veranda und starrte in ihre vor Schreck geweiteten Augen. »Bleib, wo du bist! Rühr dich nicht von der Stelle, verstanden?« Er fing das Gewehr auf, das Juan Chevez ihm zuwarf, und verschwand in den züngelnden Flammen, die gierig das Stallgebäude verschlangen.
Paul kniete sich neben Colby. Sie stand unter Schock und war wie betäubt. Er konnte nicht umhin, Rafael zu bewundern. Er hatte an alles gedacht – an Hubschrauber für den Transport und an Männer, die sich um die verängstigten, verletzten Tiere kümmerten. Es war nicht zu übersehen, dass Rafael die gut organisierte Operation leitete. Er hatte das Gewehr mit einer Hand in der Luft aufgefangen und betrat gelassen
Weitere Kostenlose Bücher