Verführer der Nacht
ein Gebäude, das im Begriff war, in sich zusammenzustürzen.
Ein Schuss knallte, und die grauenhaften Schreie hörten abrupt auf. Paul, der erst jetzt merkte, dass er den Atem angehalten hatte, ließ ihn langsam wieder heraus und beugte sich teilnahmsvoll über Colby, die sich an den Verandapfosten lehnte. Ihr Gesicht war von Ruß und Tränen verschmiert. Eine tiefe Schürfwunde zog sich über ihre Stirn, und nach dem Zustand ihres Schlafanzugs zu urteilen, befanden sich an ihren Rippen weitere Verletzungen, vermutlich von Pferdehufen. Ihre Schlafanzughose war zerrissen und versengt, ihr Oberschenkel blutverschmiert. Beide Handflächen waren von hässlichen Brandblasen übersät. Sie hatte Mühe, Luft zu bekommen, weil der furchtbare Rauch tief in ihre Lungen eingedrungen war. Unbeholfen versuchte Paul, sie zu trösten, indem er einen Arm um ihre schmalen Schultern legte.
Dann war Rafael da, beugte sich über sie und hob Colby behutsam in seine Arme. »Schau nach deiner jüngeren Schwester«, sagte er leise zu Paul. »Sie ist völlig verstört. Ich kümmere mich um Colby.« Er bedeutete Sean Everetts Vormann, mit seinen Leuten dafür zu sorgen, dass die Flammen nicht auf die Scheune übergriffen. Colby lag benommen in seinen Armen, außerstande, das Ausmaß des Brandes zu erfassen. Rafael brachte sie vor dem Feuer und dem allgemeinen Tumult in Sicherheit und bettete sie ins Gras, um ihre Verletzungen zu untersuchen. Indem er sie mit seinem Körper vor etwaigen neugierigen Blicken abschirmte, hob Rafael leicht ihr Gesicht an, um die Wunde an ihrer Stirn zu begutachten. »Es tut mir leid, pequena, dass ich das Pferd nicht retten konnte, aber ich durfte nicht zulassen, dass es leiden musste.« Noch während er sprach, legte er seine Hand auf die offene Wunde an ihrem Oberschenkel. Seltsamerweise hörten das Pochen und das Brennen sofort auf. Seine Hand glitt federleicht über ihren Hals und ihre hämmernden Schläfen, bevor sie ihre Kopfverletzung berührte. »Ich bin sofort gekommen, als ich dein Erwachen bemerkte.«
»Ich kann nicht glauben, dass das passiert«, flüsterte Colby heiser. Sie durfte nicht weinen. Wenn sie jetzt zu weinen anfing, würde sie nie wieder aufhören.
Rafael strich sanft ihr Haar zurück. Sie hatte ein paar leichtere Verbrennungen, die Aufschürfung an der Stirn und die Wunde am Oberschenkel, doch es waren ihre Hände, mit denen sie den Metallriegel angefasst hatte, die ihm die größten Sorgen bereiteten. Er murmelte ihr leise Worte zu und legte ihre Hände an die heilende Wärme seines Mundes.
Seine Zunge zog sinnliche Kreise auf ihrer Haut und sorgte dafür, dass sein heilender Speichel jede Blase und Verbrennung traf. An den Stellen, die eigentlich brennen müssten, spürte Colby eine prickelnde Wärme, die seltsamerweise ihre Haut kühlte und lindernd wirkte. Am liebsten wäre sie in Rafael hineingekrochen und hätte sich dort versteckt, wo sie in Sicherheit war.
»Ich muss den anderen helfen«, sagte sie und versuchte, ihm ihre Hände zu entziehen. Sie konnte kaum atmen, so tief saß der Rauch in ihren Lungen. Ihre Brust spannte, und sie rang mühsam nach Luft.
Rafael gab Juan Chevez ein Zeichen, damit er darauf achtete, dass keine Funken zum Wohnhaus übersprangen. Die Brüder Chevez sorgten sich um ihn, da er sich schon beim ersten Morgenlicht in die Erde hätte begeben müssen. Notfalls konnte er die Morgenstunden aushalten, aber seine Kräfte ließen allmählich nach, und irgendwann würde er an die Grenzen stoßen, die seiner Spezies gesetzt waren. Schon jetzt verbrannte die Sonne seine Haut und überzog sie mit Brandblasen, und seine Augen tränten in dem hellen Licht. Rafael ließ die Wolken am Himmel stehen, um sich ein wenig abzuschirmen, dennoch forderte die Sonne ihren Tribut. Die Brüder Chevez wussten, dass ihm nur wenig Zeit blieb, ehe sein Körper bleischwer und er selbst äußerst verletzlich wurde.
Rafael beugte sich über Colby. »Schau mich an, querida. Diesmal musst du mich wirklich anschauen.« Seine schwarzen Augen waren bezwingend und unmöglich zu ignorieren, und Colby starrte ihn hilflos an, wohl wissend, dass sie in diesen dunklen Teichen versinken würde. Doch sie war außerstande, etwas dagegen zu tun. Rafael legte seine Lippen auf ihren Mund, atmete in ihren Körper hinein und zog den rußigen schwarzen Rauch, der sie zu ersticken drohte, aus ihren Lungen. Seine Hände glitten über ihren Körper und berührten die Schürfwunden und Prellungen auf
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