Verführer der Nacht
dem Rausch, wieder zu fühlen. Ein einziges Mal Empfindungen zu haben, sei es auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, wäre vielleicht den Aufwand wert. Die Frau bedeutete ihm nichts. Sie war für ihn nicht mehr als ein Beutestück, leicht zu beherrschen, leicht zu töten. Sie sank an seine Brust, und die Bewegung reichte aus, Rafael aus dem Bann seines Dämons zu reißen. Er verschloss die winzigen Bisswunden an ihrem Hals, indem er kurz mit seiner Zunge darüberfuhr, und starrte sie eine Weile an, bevor er sie angewidert von sich schob, sodass sie auf dem Beifahrersitz in sich zusammensackte. Sie war wie alle anderen bereit, sich an den Höchstbietenden zu verkaufen. Wegen seines Reichtums und seiner Macht mit einem Wildfremden zu schlafen. Bekleidet mit einem tief ausgeschnittenen Kleid, das darauf abzielte, die Blicke der Männer auf sich zu ziehen. Sie hatte ein Raubtier angelockt und sich dabei eingebildet, sie wäre die Verführerin, die ihn in ihr Netz gelockt hatte. Rafael stieg aus und schlenderte am Rand der Klippe entlang, seine sinnlichen Züge geprägt von einer harten und rücksichtslosen Selbstsicherheit. Er war es gewohnt, sofortigen Gehorsam zu finden und seine menschliche Beute geistig zu manipulieren.
Rafael und Nicolas wollten nach Hause, nach Südamerika, in den Regenwald am Amazonas. Zurück in ihre Welt, zurück auf ihre Ranch, wo sie herrschten und ihr Wort Gesetz war. Zurück in den Urwald, wo sie ihre Gestalt wechseln konnten, wann immer sie wollten, und ohne befürchten zu müssen, gesehen zu werden. Dorthin zurück, wo das Leben unkompliziert war. Aber sie hatten noch eine Kleinigkeit zu erledigen, bevor sie zurückkehren konnten. Sie mussten eine Frau dazu bringen, das zu tun, was die Chevez-Familie wollte.
Rafael und Nicolas hatten sich vor Hunderten von Jahren auf Geheiß ihres Prinzen nach Südamerika aufgemacht, um dort Vampire zu jagen. Es war wenig genug, was sie für ihr vom Aussterben bedrohtes Volk tun konnten. Jetzt wollten sie in das Land zurück, das seit vielen Hundert Jahren ihre Heimat war. Aber die Familie Chevez, die den De La Cruz seit Jahrhunderten treu diente, brauchte ihre Hilfe, und für ihn und seinen Bruder war es eine Sache der Ehre, ihnen diese Hilfe zu gewähren. Das Problem war eine junge Frau.
Nicolas war zu ihr gegangen und hatte ihr befohlen nachzugeben, indem er mit einem starken Befehl an ihr Bewusstsein gerührt hatte, aber zu seiner Überraschung und seinem Ärger hatte es nicht funktioniert. Sie war sogar noch hartnäckiger geworden und hatte sich geweigert, auch nur mit einem Mitglied der Familie Chevez zu sprechen. So etwas war in all den Jahrhunderten ihres Daseins noch nicht vorgekommen. Alle Menschen konnten kontrolliert und manipuliert werden. Jetzt war es Rafaels Aufgabe, auch wenn es bedeutete, dass er ihr Blut nehmen musste, um sie zum Nachgeben zu zwingen. Wenn die Brüder etwas wollten, egal, was es war, bekamen sie es auch. Diese Frau würde ihnen nicht im Weg stehen. Einen Moment lang zuckte ein Muskel in seiner Wange. So oder so, sie würden kriegen, was sie wollten.
Er seufzte und blickte zu den Sternen hinauf. Es gab nichts, was ihm die endlosen, qualvollen Nächte erleichtert hätte. Rafael nahm Nahrung zu sich. Er existierte. Er durchlief die tägliche Routine, aber er fühlte nichts als Hunger, unersättlichen Hunger. Das Wispern nach der Macht des Tötens. In der Lage zu sein, wieder etwas zu fühlen. Wie es wäre, seine Zähne tief in menschliches Fleisch zu schlagen und seine Beute auszusaugen, um ein paar Augenblicke etwas zu fühlen, irgendetwas. Er warf einen Blick auf die Frau im Wagen. Die Versuchung war eindeutig vorhanden ...
Rafael! Nicolas' Stimme war scharf. Soll ich zu dir kommen?
Rafael schüttelte den Kopf, als könnte er so die allgegenwärtige Verlockung leugnen. Heute Nacht werde ich nicht schwach werden.
Er ließ seinen Blick über den abendlichen Himmel schweifen und bemerkte die Fledermäuse, die ihren abendlichen Tanz vorführten. Der Wind brachte unausgesprochene Informationen mit. Rafael war verunsichert. Seine Sinne sagten ihm, dass ein Vampir in der Nähe sein könnte, aber er war nicht imstande, den Untoten aufzuspüren, falls er überhaupt in der Gegend war. Wahrscheinlich hatte er sich in dem Moment, als Nicolas und Rafael aufgetaucht waren, in die Erde zurückgezogen und wartete, bis sie wieder fort waren, ehe er sich erhob.
Jetzt trug der Wind das Geräusch ferner Stimmen zu ihm. Beunruhigt.
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