Verführer der Nacht
war nicht groß und wurde hauptsächlich dafür genutzt, Pferde zu halten. Die wenigen Rinder und Felder waren für den Eigenbedarf bestimmt. Es war ein hartes, aber gutes Leben. Ihr Vater, Armando Chevez, war in dieses Land gekommen, als er Pferde für seine reiche Familie in Brasilien gekauft hatte und auf der Suche nach neuen Blutlinien für die riesigen Besitzungen in Südamerika gewesen war. Damals hatte er Virginia Jansen, Colbys Mutter, kennengelernt und geheiratet. Seine Familie nahm ihre Eheschließung nicht gut auf, und Armando wurde tatsächlich enterbt. Colby hatte ihrem Vater nie gesagt, dass sie den Brief von dem Patriarchen der Familie Chevez gefunden hatte, in dem Armando aufgefordert wurde »das geldgierige amerikanische Flittchen mitsamt seinem Bastard« sofort zu verlassen und nach Hause zurückzukehren. Andernfalls wäre er für die gesamte Familie buchstäblich gestorben. Colby hatte keine Ahnung, wer ihr leiblicher Vater war, und es interessierte sie auch nicht. Für sie war Armando Chevez ihr wahrer Vater. Er hatte sie geliebt und beschützt, als wäre sie sein eigen Fleisch und Blut. Jetzt waren Paul und Ginny ihre Familie, und sie wachte mit Argusaugen über die beiden. Sie war fest entschlossen, dass ihre Geschwister die Ranch bekommen sollten, wenn sie großjährig wurden, genauso wie Armando Chevez es beabsichtigt hatte. Es war das Mindeste, was Colby für ihn tun konnte.
Es war ein langer Nachmittag gewesen und schien ein noch längerer Abend zu werden. Paul biss die Zähne zusammen und fluchte leise, als der große Braune immer wieder bockte und Colby entweder auf dem Boden landete oder mit voller Wucht in den Zaun krachte.
Ginny kam und stellte einen Picknickkorb mit einer Thermosflasche Limonade und kaltem Brathuhn auf den Boden, bevor sie sich außerhalb der Koppel hinsetzte und geduldig wartete, eine Faust in den Mund gesteckt und die großen, braunen Augen angstvoll auf ihre Schwester gerichtet.
Colby, deren zarte Gesichtszüge sich vor Entschlossenheit anspannten, packte die Zügel fester, und senkte den Kopf, um sich mit dem Ärmel den dünnen Streifen Blut an ihrem Mundwinkel abzuwischen. Unter ihren Schenkeln konnte sie spüren, wie sich die kräftigen Muskeln des Pferdes wölbten und dann versteiften. Paul trat einen Schritt vor und hielt den Zügel so fest umklammert, dass seine Handknöchel weiß hervortraten. Der gewaltige Kopf des Tieres versuchte, sich nach unten zu neigen, aber Colby hinderte ihn gekonnt daran. Wieder einmal bewunderte Paul das Können seiner Schwester. Dann riss sich das Pferd erneut los, warf sich heftig hin und her, stieg auf die Hinterbeine, bäumte sich auf, fuhr herum und tänzelte nervös hin und her.
Ginny sprang auf und klammerte sich an den Zaun, während sie ehrfürchtig zusah, mit welcher Meisterschaft Colby jede Bewegung des Pferdes voraussah. Zwei Mal war Paul überzeugt, dass der Braune sich wieder aufbäumen würde, aber Colby setzte ihre ganze Willenskraft ein und behielt schließlich die Oberhand.
Rafael De La Cruz parkte seinen Wagen am Rand einer Klippe, von der man über das ganze Tal blickte. Hinter ihm erstreckten sich dicht mit Tannen und Föhren bewachsene, hohe Bergzüge. Die Frau, die sich an ihn kuschelte, tippte ihm mit einem scharlachrot lackierten Fingernagel, der stark an eine blutige Kralle erinnerte, an die Brust. Rafael starrte sie einen Moment lang an, beugte sich dann unvermittelt und völlig leidenschaftslos über sie und strich ihr das Haar von der Pulsader, die an ihrem Hals heftig pochte. Er versuchte, sich an den Namen der Frau zu erinnern. Sie war jemand, der in der kleinen Welt, in der er sich zurzeit aufhielt, etwas galt; für ihn aber war sie kaum von Interesse. Alles, was für ihn zählte, war das stetige Klopfen ihres Herzschlags, der nach ihm rief.
Sie war Beute, wie all die anderen. Gesund und kräftig. Eine Frau, die mit einem Mann schlafen wollte, der reich und mächtig war. Es gab so viele von ihrer Sorte, Frauen, die sich von den De La Cruz-Brüdern angezogen fühlten wie Motten vom Licht. Sie wandte ihren Kopf in seine Richtung, und er fing sofort ihren Blick ein, um sie in seinen Bann zu schlagen. Es schien den Aufwand kaum zu lohnen.
Rafael schlug seine Fänge tief in ihren Hals und nährte sich von ihr; er trank ihr Blut, während er gleichzeitig das wilde Tier in seinem Inneren bekämpfte, das sich zu erheben drohte und den Tod dieser Frau forderte, das von der höchsten Macht sprach, von
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