Verführer der Nacht
den Wiederaufbau des Stalls sowie die für die Anschaffung einiger neuer Geräte. Colby hatte nicht die Summen, über die Daniels oder De La Cruz verfügten, und würde sie auch nie haben.
»Willst du den ganzen Abend finster die Papiere anstarren, oder unterschreiben wir einfach und bringen es hinter uns ?« Rafael, der mit verschränkten Armen an der Tür lehnte, riss sie aus ihren Überlegungen.
Sie schaute zu ihm und runzelte leicht die Stirn. »Ich will es gründlich durchlesen, um sicherzugehen, dass die Sache keinen Haken hat.«
»Es wird nicht funktionieren, weißt du«, bemerkte er leise.
»Was meinst du?«, gab sie zurück.
»Dein Versuch, mit mir Streit anzufangen. Nichts kann mich vertreiben. Du glaubst, mich dazu bringen zu können, in meine Heimat zurückzukehren. Ist dir immer noch nicht klar, dass es dafür zu spät ist?«
Colby fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und sah ihn aus ernsten Augen an. »Ich weiß, dass wir miteinander reden müssen, Rafael.«
Er zeigte mit einer nachlässigen Handbewegung auf die Papiere. »Fällt dir die Entscheidung wirklich so schwer? Wäre es dir lieber, wenn ich dich und deine Geschwister im Stich ließe? Es ist nur Geld. Und Geld bedeutet mir nichts, hat mir nie etwas bedeutet.« Er seufzte und richtete seine dunklen Augen auf ihr ausdrucksvolles Gesicht. »Du hasst es, dass ich dir ein Darlehen geben will, doch auch ohne diese Sache hättest du einen Grund gefunden, mich abzulehnen. Und was für eine Art Mann wäre ich, wenn ich dir das Geld nicht anbieten würde?« In seiner Stimme lag kein Tadel, er sprach lediglich eine Tatsache aus.
Colby schämte sich sofort. Er hatte recht. Sie wollte gegen ihn sein. Und sie traute seinen Motiven nicht. Rafael zog einen goldenen Füller hervor und hielt ihn ihr mit einem vielsagenden Blick hin. Colby schüttelte zwar den Kopf, weil sie sich auf diesen Wahnsinn einließ, nahm aber den Füller. Als ihre Finger seine streiften, überlief sie ein Prickeln. Das konnte Rafael bei ihr bewirken, doch war es einfach nur Chemie? Colby wusste nicht, warum sie sich so zu ihm hingezogen fühlte. Sie hielt ihn für kalt, aber manchmal brannte wieder ein solches Feuer in ihm, dass sie in seiner Nähe schmolz. Wer war der wahre Rafael? Sie fand ihn egoistisch und arrogant, doch er war der Erste gewesen, der auf der Ranch in einer Notlage unablässig gearbeitet und geholfen hatte. Er hatte Ginny mitten in der Krise abgeschirmt, obwohl es ihm selbst offenbar sehr schlecht gegangen war. Und er bot ihr zu mehr als vernünftigen Bedingungen Geld an, damit sie die Ranch behalten konnten. Hatte sie sich in ihm getäuscht?
Nein, pequena, du liegst nicht ganz falsch mit deiner Einschätzung. Die Worte streiften sie fast zärtlich.
Colby blickte erschrocken auf. Es war beunruhigend, zu wissen, dass er jeden ihrer Gedanken lesen konnte. »Ich schätze, wir müssen uns doch nicht unterhalten. Du brauchst mir nur zu erklären, was zwischen uns vorgeht, ich weiß es nämlich nicht.« Sie würde sich nicht abwimmeln lassen. Er hatte ihr versprochen, mit ihr zu sprechen, und sie würde ihn beim Wort nehmen.
»Glaubst du wirklich, ich habe etwas mit den Vorfällen auf dieser Ranch zu tun?« Rafael rührte sich zum ersten Mal, mit einer trägen, geschmeidigen Bewegung, die stark an eine Dschungelkatze erinnerte. Er richtete sich auf, kam zu ihr und erfüllte sofort die ganze Küche mit seiner Präsenz.
Das Telefon klingelte schrill. Sie konnten hören, wie Paul und Ginny beide um die Wette rannten, um zuerst dran zu sein. Colby stieß die Insektengittertür auf. Sie brauchte die Nachtluft und die Weite. Sie wandte nicht den Kopf, und sie hörte nicht Rafaels Schritte, aber sie spürte, dass er direkt hinter ihr war.
Als sie über den Hof gingen, streifte seine Hand ihre. Bevor sie es verhindern konnte, spielte ihr Herz verrückt und schlug wie wild. Sie spähte unter ihren langen Wimpern hindurch zu ihm und legte ihre Hand verstohlen auf ihren Rücken. »Warum bist du hergekommen, Rafael? Warum bist du überhaupt hier? Du gehörst nicht hierher, oder?«
»Meine Brüder und ich sind selten auf Reisen. Wir bleiben lieber in der Nähe des Regenwaldes.« Er betrachtete die hohe Bergkette, die ihren Schatten auf die Ranch warf. »Wir brauchen die Wildnis. Obwohl wir zusammenleben, waren wir schon immer Einzelgänger.«
Seine Stimme war sehr leise, fast hypnotisch. Colby stellte fest, dass auch ihr Blick zu den Bergen gewandert war. Alles wirkte
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