Verführer der Nacht
heute Abend sehr viel intensiver auf sie. Lebhafte Farben in der Nacht, eine Brise, die Gerüche und Laute zu ihr trug, die sie nie zuvor wahrgenommen hatte. Sie atmete tief ein, als wollte sie all das in sich hineinsaugen. »Warum will ich bei dir sein, wenn ich dich nicht einmal mag?« Sie sah ihn nicht an, als sie die Frage stellte. »Du weißt warum, oder?« Sie wusste bestimmte Dinge, das war schon immer so gewesen. Und er würde sie über das, was sie beide verband, nicht belügen, da war sie sicher.
Rafael ging schweigend neben ihr her. Seine Bewegungen waren geschmeidig und doch kraftvoll, und er strahlte reine Macht aus. Colby konnte diese Macht fühlen. Sie schlenderten an dem großen Garten vorbei, in den sie so viel harte Arbeit gesteckt hatte. Colby nahm geistesabwesend zur Kenntnis, dass Paul vergessen hatte, ihn zu wässern. Sowie der Gedanke durch ihren Kopf huschte, hob Rafael eine Hand, und das Wasser begann in die Schläuche zu fließen. Er tat es fast beiläufig, als wäre es ihm kaum bewusst.
»Warum brauche ich es, dein Bewusstsein mit meinem zu verbinden und dich zu sehen, wenn ich noch nie im Leben einen Mann gebraucht habe?«
Wieder streifte seine Hand ihre, und diesmal schlangen sich ihre Finger ineinander. »Möchtest du wirklich Antworten auf deine Fragen haben, Colby? Du musst dir ganz sicher sein, dass du es hören willst. Die Antworten, die du bekommst, sind bestimmt nicht das, was du erwartest.«
Colby blieb stehen. Sie war ihm so nahe, dass sie den Kopf zurücklegen musste, um ihn anzuschauen. Sie dachte einen Moment nach, weil sie spürte, dass er etwas Gewaltiges und Erschreckendes preisgeben würde. War sie stark genug, um es zu verkraften? Sie musste es wissen. Colby holte tief Luft und nickte. »Ich glaube, es gibt ohnehin schon genug Geheimnisse in meinem Leben. Sag mir die Wahrheit.«
Seine Hände rahmten ihr Gesicht ein, und seine Fingerspitzen strichen unendlich zart über ihre Wangen. »Ich schaue dich an, Colby, und sehe die schönste Frau auf Gottes Erdboden. Du bist innerlich und äußerlich schön. Ich kenne dich besser, als irgendjemand dich je kennen könnte, weil ich deine Gedanken und deine Erinnerungen sehen kann. Das Licht in dir und deine unglaubliche Fähigkeit zu lieben beschämen mich.«
Sie schaute ihn unverwandt an und versuchte, nicht in den Tiefen seiner schwarzen Augen zu versinken. Angesichts des Hungers und der Intensität, die sie dort sah, war es unmöglich, ihm nicht zu glauben, und seine Worte nahmen ihr den Atem. Sie schüttelte den Kopf, um sich von dieser Verzauberung zu befreien. »Erzähl mir etwas über dein Leben.« Sie stellte fest, dass sie den Atem anhielt. Sie wollte nichts von Rafael und anderen Frauen hören, sondern nur etwas über ihn erfahren: wer er war, was er dachte und fühlte und was ihm wichtig war.
»Du bist mir wichtig. Ginny und Paul sind mir wichtig.« Seine dunklen, brütenden Augen wanderten über ihr Gesicht, und seine Finger strichen über die seidige Fülle ihrer Haare, bevor er sie widerstrebend losließ. »Ehre war das Einzige, was mir geblieben war, bevor du in mein Leben getreten bist, Colby.« Er wandte sich ein wenig von ihr ab und betrachtete die hohen, schattigen Berggipfel, um ihrem Blick auszuweichen. »Ich gehöre in die Regenwälder oder in die Berge, weit weg von anderen Leuten, wo es viel sicherer ist... für sie und für mich.«
Colby ließ ihn nicht aus den Augen. Sie war entschlossen, die Wahrheit zu erfahren. Eine Art Einsamkeit umgab ihn, und er schien so allein, dass es sie betroffen machte und in ihr das unwiderstehliche Bedürfnis weckte, ihn in die Arme zu nehmen und zu trösten. »Ich weiß nicht, was so verkehrt daran ist, seinen Freiraum zu brauchen. Manchmal stürmen so viele Informationen auf mich ein, dass ich sie kaum noch verarbeiten kann. Du bist viel sensibler als ich, das spüre ich. Wenn du Gedanken liest, müssen die Emotionen überwältigend sein.«
Er rieb sich nachdenklich den Nasenrücken und schüttelte den Kopf. »Natürlich möchtest du einen plausiblen Grund für mein Verhalten finden. Aber so ist es nicht, pequena. Die Entschuldigung, mit Emotionen überschwemmt zu werden, kann ich für mich nicht geltend machen. Die Wahrheit ist, obwohl ich in anderen lesen kann, habe ich überhaupt nichts gefühlt, bis ich dir begegnet bin.«
Colby ging weiter. Die sanfte Brise war tröstlich und bildete einen beruhigenden Hintergrund für ihre Bemühungen, das, was Rafael ihr
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