Verführer oder Gentleman? (German Edition)
Moment nicht befassen, nur mit der Erinnerung an ihr Liebesglück.
Schließlich schlug sie die Decke zurück. Aus den Augenwinkeln sah sie Blutflecken auf dem Laken. Ihr Blut. Erstaunt entsann sie sich, dass sie nicht die erwarteten heftigen Schmerzen empfunden hatte. Nein, nur Entzücken und rauschhaftes Glück …
Am späteren Vormittag betrat Dominic die Bibliothek. Er trug einen braunen Reitrock, hellbraune Breeches und blank polierte hohe Stiefel. Seine markanten Züge drückten kühle Entschlossenheit aus, jeder Zoll seiner breitschultrigen Gestalt unerschütterliches Selbstvertrauen. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, schlenderte er zu dem Tisch, an dem Juliet saß.
Unsicher beobachtete sie ihn und fragte sich leicht verzweifelt, wie er nach dem überwältigenden Liebesakt so gelassen aussehen konnte. Aber wahrscheinlich nahm er sich jedes Mädchen, das ihm gefiel, und was er mit ihr erlebt hatte, bedeutete ihm nichts Besonderes.
Nun lächelte er, und sie wünschte, er würde nicht ganz so nonchalant wirken, so ruhig – während sie mit sich kämpfen musste, um nach der gemeinsamen Nacht halbwegs normal zu erscheinen. Prompt steigerten sich ihre Furcht und Verwirrung fast zur Panik.
Den ganzen Morgen hatte sie auf ihre Fähigkeit gezählt, kontrolliert zu bleiben, und sich immer wieder gesagt, sie dürfe nicht zu viel in die Ereignisse jener dunklen Stunden hineingeheimnissen. Aber warum dieser Mann mit den zusammengezogenen Brauen nach allem, was geschehen war, so ungerührt, wie ein Fels aussah, verstand sie nicht.
„Guten Morgen, Miss Lockwood“, grüßte er brüsk. „Ich hoffe, Sie fühlen sich gut?“
„Ja, danke, sehr gut“, erwiderte sie, legte den Federkiel beiseite und faltete ihre Hände im Schoß. Statt des verführerischen Klangs, den seine Stimme letzten Abend angenommen hatte, schlug er jetzt einen höflichen, unpersönlichen, geschäftsmäßigen Ton an. Und er war zur förmlichen Anrede zurückgekehrt, nannte sie nicht mehr Juliet.
Die Arme vor der Brust gekreuzt, setzte er sich auf die Tischkante und musterte Juliet gleichmütig. Ehe er das Schweigen brach, schien eine Ewigkeit zu verstreichen. Und dann verkündete er gebieterisch: „In ein paar Tagen fahre ich nach London. Vorher möchte ich gewisse Dinge zwischen uns regeln, die der Klärung bedürfen.“
„Oh, tatsächlich?“
„Ich mache Ihnen ein Angebot.“
Bei dem Wort „Angebot“ sah er ihre Augen aufleuchten. Glaubte sie wirklich, er wäre dumm genug, um ihre Hand zu bitten?
„Welches Angebot?“
„Es handelt sich um einen geschäftlichen Vorschlag.“
„Etwas, das sich von meiner jetzigen Tätigkeit unterscheidet?“
„Völlig. Wenn Sie Zeit hatten, darüber nachzudenken – und das wird wegen meiner längeren Abwesenheit zutreffen –, müssten Sie meine Offerte vernünftig finden. Sogar überaus günstig.“
„Für mich oder für Sie, Euer Gnaden?“
„Für uns beide – und ich wünschte, Sie würden endlich aufhören, mich ‚Euer Gnaden‘ zu nennen“, fügte er irritiert hinzu. „Nach allem, was letzte Nacht zwischen uns geschah, ist das wohl kaum angemessen. Was meinen Vorschlag betrifft –, den werden Sie Ihrer derzeitigen Beschäftigung gewiss vorziehen.“
Ein vages Unbehagen stieg in ihr auf. „Aber mir gefällt meine Arbeit. Wieso behaupten Sie, etwas anderes wäre mir angenehmer?“
„In finanzieller Hinsicht würden Sie es bevorzugen.“
Sein Verhalten ließ sie frösteln, und irgendetwas in ihr begann zu sterben. „Sprechen Sie bitte weiter, Sir. Was wollen Sie von mir?“
„Dass Sie meine Geliebte werden. Wie ich letzte Nacht festgestellt habe, passen wir ganz ausgezeichnet zusammen.“
Juliet traute ihren Ohren nicht. Wie konnte er so gefühllos über den wundervollen Liebesakt reden? Siegessicher strahlte er die kühle Arroganz aus, die ihn charakterisierte, und in seinen Silberaugen las sie eine verstörende Belustigung. Sie zögerte. Ehe sie ihr Schweigen brach, wählte sie ihre Worte sehr vorsichtig, denn sie wusste, auf welch schwankendem Terrain sie sich befand.
So oder so, ihre Natur verbot ihr einen dramatischen Gefühlsausbruch. Sie schob ihren Stuhl zurück. Langsam stand sie auf. „Ich bin nicht sicher, ob mir Ihr Wunsch zusagt, Euer Gnaden.“ Voller Genugtuung sah sie ihn bei der verhassten Anrede zusammenzucken.
„Was könnten Sie dagegen einwenden, Miss Lockwood? Sie werden mein Bett teilen, ein Haus in London bewohnen, Dienstboten
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