Verführer oder Gentleman? (German Edition)
liegen müssen.“
„Vor niemandem knie ich nieder, das weißt du, Cordelia.“ Er wandte sich zu Charles Sedgwick, der Juliet anstarrte, als hätte er den Verstand verloren. „Und du, alter Junge? Wie fühlst du dich beim Anblick dieser Sensation? Überrascht?“
„Völlig verblüfft – und genauso hingerissen wie alle anwesenden Männer.“ Prüfend schaute Charles in das ausdruckslose Gesicht seines Freundes. „Alle außer dir, wie es aussieht. Bist du zu Stein geworden? Gibt es tatsächlich einen Mann, den Miss Lockwoods Schönheit nicht entzückt? Und wie peinlich muss es für dich sein – herauszufinden, dass deine einstige Angestellte in Wirklichkeit eine Lady ist und nach dem Tod ihres Großvaters das reiche Erbe einer Countess antreten wird …“
„Schon jetzt muss sie sich vor Mitgiftjägern hüten“, bemerkte Cordelia und überlegte, was ihr Bruder angesichts der veränderten Situation unternehmen würde. „Zweifellos ist sie die interessanteste Londoner Debütantin.“
„Wirst du sie umwerben, Charles?“ Angespannt beobachtete Dominic das Mienenspiel seines Freundes.
„Leider nicht. Vor mir ist Miss Lockwood sicher. Deine Miss Lockwood – es sei denn, mein Fingerspitzengefühl trügt mich, und das passiert nie. Geraldine würde mich hängen, strecken und vierteilen, wenn ich mich in der Nähe der reizvollen Lady Juliet blicken ließe.“
Am Fuß der Treppe neigte der Earl seinen Kopf zu Juliet. „Nur keine Bange, meine Liebe. Sei einfach du selbst.“
Allmählich wurde Juliets Angst von dem angenehmen, hilfreichen Eindruck verdrängt, sie würde in eine unwirkliche Welt geraten. Eine Wolke aus Licht und Wärme und Musik wehte ihr entgegen, das Klappern der Fächer und das Rascheln der Seidenröcke mischten sich in das lebhafte Stimmengewirr.
Noch nie hatte sie einen Ball besucht, noch nie so viele elegante, mit funkelnden Juwelen geschmückte Menschen versammelt gesehen. An den Wänden des weiß-goldenen Ballsaals prangten Blumenarrangements, die aus Lord Fitzherberts Treibhäusern auf dem Land stammten und an diesem Morgen nach London geschickt worden waren. Zahllose Kerzen flackerten an den gigantischen Kristalllüstern. In einem Alkoven am anderen Ende des Raums spielte das Orchester. Der Tanz hatte bereits begonnen. Bezaubert von der schwungvollen Musik, musterte Juliet die Paare, die sich im Walzertakt drehten.
Sie spähte über die Gästeschar hinweg, die fremden Gesichter, bis sie eine imposante Gestalt entdeckte, die alle anderen überragte. In einem schlichten, aber perfekt geschnittenen schwarzen Frackrock wirkte der Duke of Hawksfield so gebieterisch wie eh und je. Die breiten Schultern hochmütig gestrafft, hatte er die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Das Kerzenlicht ließ sein schwarzes Haar schimmern.
Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Seine Züge blieben zunächst ausdruckslos. Dann hob er arrogant die Brauen. In seinen Augen las Juliet eine gewisse Faszination, aber auch Ablehnung und Misstrauen. Hastig schaute sie weg und fühlte sich versucht, ihre Röcke zu raffen und zu flüchten.
Verächtlich beobachtete er, wie beharrlich die Gratulanten dieses hinreißende Wesen umzingelten, das plötzlich in ihrer Mitte erschienen war. Mit überschwänglichen Komplimenten versuchten die Gentlemen, Lady Juliets Aufmerksamkeit zu erregen, ersuchten den Earl, er möge sie seiner Enkelin vorstellen, und baten um diverse Tänze.
Obwohl sie diese Avancen nicht ernst nahm, begegnete sie allen ihren Bewunderern mit unparteiischer Freundlichkeit. Und ihr Großvater, der stolzeste Mann im Saal, meisterte die Situation souverän.
Den ganzen Abend hing Geraldine besitzergreifend an Charles’ Arm. Wann immer sie Juliet anstarrte, auf der Tanzfläche oder anderswo, glitzerte unverhohlener Abscheu in ihren Augen,
In Juliet entfachte der Anblick der Frau, die ihr so große Schwierigkeiten bereitet hatte, hellen Zorn. Als einer ihrer Tanzpartner sie zu ihrem Großvater zurückführte, der gerade mit einem Bekannten plauderte, hörte sie, wie Miss Howard einer sichtlich interessierten Dame in schrillem Ton mitteilte, die Enkelin des Earl of Fairfax habe bis vor Kurzem ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. „Stellen Sie sich vor, sie hat für den Duke of Hawksfield gearbeitet.“
Juliet hatte sich gelobt, Ruhe zu bewahren, wenn sie Geraldine begegnen sollte. Aber eine so dreiste Indiskretion konnte sie nicht hinnehmen. Ohne Dominics unmittelbare Nähe zu
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