Verführer oder Gentleman? (German Edition)
Danach habe ich dich noch gar nicht gefragt.“
Juliet lachte. „Natürlich kann ich tanzen. Das habe ich auf der Academy gelernt – und alles andere, was ich bei gesellschaftlichen Ereignissen beherrschen muss. Also werde ich dich nicht blamieren.“
Vor Lord Fitzherberts stattlichem Haus ratterten Wagenräder, Pferdegeschirr klirrte, Kutscher und Lakaien schrien einander Anweisungen zu.
Während Juliet an der Seite ihres Großvaters die Eingangsstufen hinaufstieg, wusste sie, wie fabelhaft sie in ihrem Abendkleid aus hellgrüner Atlasseide aussah. Allerdings hatte sie gewisse Bedenken wegen des tiefen Dekolletés gehegt, das die Grenzen der Schicklichkeit fast überschritt. Aber es brachte den Ansatz ihrer Brüste und die wohlgeformten Schultern höchst vorteilhaft zur Geltung.
In der Halle bot der Earl ihr lächelnd seinen Arm. „Bist du bereit?“
Sie nickte und legte ihre behandschuhten Finger auf seinen Ärmel. Als er sie die geschwungene Stiege zum Ballsaal hinaufgeleitete, versuchte sie an gar nichts zu denken. Lakaien in dunkelblauen, mit goldenen Borten besetzten Livreen standen zu beiden Seiten der Stufen und auf dem Treppenabsatz Spalier.
Hinter der Empfangsreihe mussten Juliet und ihr Großvater nicht allzu lange waren, bis sie die Treppenflucht erreichten, die in den Saal führte.
„Der Earl of Fairfax und seine Enkelin, Lady Juliet“ , verkündete der Butler mit volltönender Stimme.
Von einigen Freunden umringt, hob Dominic den Kopf. Verwirrt und verblüfft ließ er seinen Blick über die Neuankömmlinge hinweg schweifen. Schon nach wenigen Augenblicken entdeckte er eine Vision in blassgrüner Seide und erstarrte. Ein tiefes Dekolleté entblößte verlockende Rundungen, das Oberteil schmiegte sich an eine schmale, hohe Taille. Aus der Stirn gekämmt, wurde das glänzende dunkle Haar von einer Smaragdspange festgehalten und fiel in dichten Locken über die Schultern.
In den fein gezeichneten Gesichtszügen und dem schlanken weißen Hals sah Dominic makellose Perfektion. Sie war zu exquisit, um aus Fleisch und Blut zu bestehen, so majestätisch und erhaben. Niemals hätte sie ihm gestatten dürfen, sie zu berühren. Mühsam rang er nach Luft und merkte, dass er bei Juliets Anblick mehrere Sekunden lang nicht geatmet hatte, ebenso wenig wie die Gäste in seiner Nähe.
„Guter Gott“, ächzte ein korpulenter Gentleman. „Sehe ich sie wirklich ? Oder gaukelt mir meine Fantasie einen Engel vor?“
„Das habe ich mich auch gerade gefragt.“ Der Mann an seiner Seite genehmigte sich eine Prise Schnupftabak. „Dass Fairfax eine Enkelin hat, wusste ich gar nicht.“
„Wenn sie die Frau ist, für die ich sie halte“, mischte sich eine der Damen ein, „beschwor ihre Mama einen Skandal herauf, weil sie ohne die Erlaubnis ihres Vaters mit einem Witwer davonrannte. In diesem Land heiraten Mädchen aus gutem Haus nicht, wenn es den Wünschen ihrer Familien widerspricht.“
„Irgendwann vergisst die Gesellschaft solche Dinge“, bemerkte eine andere Dame. „Und allem Anschein nach ist diese junge Dame die Frucht jener unglückseligen Verbindung und die legitime Erbin des Earls.“
„Also – so etwas …“, seufzte Cordelia und trat neben Dominic. Seit Juliet im Ballsaal erschienen war, hatte sie sie nicht aus den Augen gelassen und immer wieder ungläubig den Kopf geschüttelt. „Welch eine Wende! Wer hätte das gedacht?“
„In der Tat – wer ?“ Dominic fühlte sich wie ein vollkommener Narr, als er sich entsann, wie er Juliet in Vauxhall viel zu schnell verurteilt und verdammt hatte.
„Sie ist einfach wundervoll.“
„Ist sie das?“, stieß er hervor und beobachtete den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Eine Hand auf dem Arm ihres Großvaters, den Kopf hoch erhoben, stieg Juliet langsam und anmutig die Stufen herab. „Das wird sie bereuen.“
„Eher wirst du deine niederträchtige Anschuldigung bereuen“, flüsterte Cordelia, nur für die Ohren ihres Bruders bestimmt. „Falls ihr Großvater das weiß, wird es ihm ganz und gar nicht gefallen. Du hast Juliet kompromittiert. Wenn sie den Earl darüber informiert, musst du dich auf einiges gefasst machen.“
„Während sie für mich gearbeitet hat, gab es keine Verbindung zwischen den beiden.“
„Was wohl kaum eine Rolle spielt. Trotz der Ereignisse in der Vergangenheit ist und bleibt er ihr Großvater. Wie du sie behandelt hast, ist unentschuldbar. Bis sie dir verzeiht, wirst du ziemlich lange auf den Knien
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