Verführer oder Gentleman? (German Edition)
gestehen, und so entschloss sie sich zu einer Erklärung, die sogar der Wahrheit entsprach. „Es ging um Robby.“ In knappen Worten berichtete sie von den verschwundenen Miniaturen und dem Verdacht des Diebstahls gegen ihren Bruder. „Weil er wegen seiner Schulden einige Wochen im Gefängnis saß, wurde er beschuldigt.“
„Und?“, fragte der Earl. „Hat er sich die Miniaturen angeeignet?“
„So etwas würde er niemals tun. Nach meiner Abreise sind sie wiederaufgetaucht.“
„Sicher war dein armer Bruder maßlos erleichtert. Hat der Duke dich ersucht, deine Stellung wieder anzutreten?“
„Nein. Er wusste nicht, wo ich zu erreichen war.“
„Hätte er deine Adresse gekannt – wärst du nach Essex zurückgekehrt?“
„Keinesfalls“, erwiderte Juliet in entschiedenem Ton. „Mein Abschied von Lansdowne House war … unangenehm. Zu viel wurde gesagt; von meinem Arbeitgeber und mir.“
Eine Zeit lang überdachte der Earl, was er erfahren hatte, und betrachtete das bleiche Gesicht seiner Enkelin. „Du bist eine erwachsene Frau, Juliet, und deine eigene Herrin. Deshalb werde ich mich nicht in Dinge einmischen, die mich nichts angehen. Aber …“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Du verschweigst mir etwas, das spüre ich. Und ich merkte schon bei unserer ersten Begegnung, wie unglücklich du aus irgendeinem Grund bist. Wenn du darüber reden willst, ich bin ein guter Zuhörer.“
„Du irrst dich, Großvater“, log sie und senkte beklommen die Lider. „Alles ist in Ordnung. Bitte, sorge dich nicht um mich.“
„Vorhin sah der Duke ziemlich wütend aus.“
„Das war er auch. O Gott, es ist so albern …“
„Weiß er, dass du meine Enkelin bist?“
„Das habe ich ihm nicht erzählt. Wegen seines Verhaltens ergab sich keine Gelegenheit dazu.“ Nun erhellte sich ihre Stimmung. Belustigt schaute sie auf. „Er dachte, du und ich – weil er uns zusammen sah …“
Was sie meinte, verstand ihr Großvater sofort. Auch er erkannte die Komik der Situation, warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. „So etwas Schmeichelhaftes habe ich schon lange nicht mehr gehört, da meine besten Zeiten längst vorbei sind. Jetzt ist meine Jugend nur mehr eine vage Erinnerung. Wenn Lansdowne das wirklich glaubt, hat er sich zum Narren halten lassen.“
„Allerdings, und ich kann mir seinen wilden Zorn vorstellen, wenn er die Wahrheit herausfindet.“
Das Gesicht des Earls nahm wieder ernste Züge an. „In der Londoner Gesellschaft wirst du Begegnungen mit dem Duke nicht vermeiden können. Wie immer du einem Freund oder einem Feind gegenübertreten willst, ich werde dich voll und ganz unterstützen. Das weißt du doch?“
Gerührt über seine Güte, verlor sie beinahe ihre mühsam errungene emotionale Fassung. „O ja, das weiß ich.“ Dann nahm sie seinen Arm, und sie wanderten den Weg entlang. „Aber dazu wird es nicht kommen. Jetzt habe ich nichts mehr mit dem Duke of Hawksfield zu schaffen.“
Auf dem Rückweg zu Dominic sah Cordelia ihn aus der Laube stürmen, in der sie ihn mit Juliet allein gelassen hatte. Wie ihr ein kurzer Blick in sein verzerrtes, vor Zorn gerötetes Gesicht verriet, war das Gespräch äußerst unerfreulich verlaufen. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf, eilte an seine Seite und begleitete ihn aus den Vauxhall Gardens zur Kutsche. Nachdem er ihr hineingeholfen hatte, warf er sich auf den gegenüberliegenden Sitz und rief dem Fahrer einen Befehl zu.
Erst als die Räder rollten, brach Cordelia ihr Schweigen. „Dominic, Juliet ist …“
„Soll sie doch mit dem Earl of Fairfax zur Hölle fahren – mit einem alten Mann, den sie mir offensichtlich vorzieht.“ Inzwischen hatte er sich einigermaßen beruhigt und sprach in kühlem, leidenschaftslosem Ton. In seinen Worten schwang keinerlei Sorge mit, nicht einmal seine Augen zeigten einen Anflug von Interesse. Seit Juliets Abreise aus Lansdowne House hatte er verzweifelt nach ihr gesucht. Jetzt war sie für ihn gestorben, und er wusste auch, warum er sie nicht aufgespürt hatte. Dafür gab es nur eine einzige einleuchtende Erklärung – sie genoss den Schutz eines einflussreichen Liebhabers.
Seinen Vorschlag, seine Geliebte zu werden, hatte sie abgelehnt. Und sie hätte ihn – ungeachtet des unglückseligen Problems, das die verschwundenen Miniaturen betraf – so oder so verlassen, weil er ihr nichts bedeutete. Weil sie die Obhut eines anderen Mannes erstrebenswerter fand … Aber Edward, Lord Fairfax?
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