Verführerische Maskerade
Vorstellungen weit übertroffen. Ja, ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dachte er weiter, wandte sich zögernd ab und eilte in das angrenzende Ankleidezimmer.
In diesem Zimmer stand ebenfalls ein Bett, das für solche Fälle gedacht war, wenn der Hausherr todmüde von seinen Geschäften heimkehrte. Oder für solche Nächte, in denen die Lady es vorzog, allein im Ehebett zu schlafen. Aber inzwischen war er überzeugt, dass solche Fälle in seiner Ehe nur selten eintreffen würden.
Es klopfte an der Tür. Der Leibdiener trat mit einem Krug heißen Wassers ein und stellte ihn auf die Kommode. »Das Bad ist gleich fertig, M’lord. Soll ich die Rasierklinge schärfen?« Er deutete auf den Lederriemen an der Wand.
»Ja, bitte.« Alex ging zum Fenster, das auf den kleinen Garten hinauszeigte, der mit weißem Raureif überzogen war. In Gedanken war er wieder bei dem Boten. Es gab nur zwei Männer, die wussten, wo er sich in diesem Moment aufhielt: Michael Michaelowitsch und der ungehobelte Tatarinov. Michael war für den Fall informiert, dass der Zar irgendwelche Botschaften überbringen wollte. Alexander Prokov stand in Diensten des Herrschers und musste jederzeit erreichbar sein. Tatarinov wusste Bescheid, falls innerhalb der kleinen Verschwörung ein Notfall eintrat und Alex benachrichtigt werden musste. Er hielt also zwei Fäden in einer Hand. Aber an welchem Faden war gerade gezogen worden?
Nun, es dauert nicht mehr lange, bis ich es erfahren werde, dachte Alex. Aber zuerst musste er sich die Überbleibsel der Liebesnächte vom Leib waschen, sich den Schlaf aus den Augen wischen und sich ordentlich anziehen.
Boris kehrte mit einem Dienertrupp ins Zimmer zurück, der eine hüfthohe Wanne aus Porzellan schleppte und kannenweise heißes Wasser mitbrachte. Alex riss sich zusammen und freute sich auf das Bad.
Nebenan wachte Livia verträumt auf, als sie das Badewasser in die Wanne plätschern hörte. Ein Dienstmädchen, das sie noch nie gesehen hatte, goss das Wasser in die hüfthohe Wanne vor dem Kamin, ein zweites Dienstmädchen hängte Handtücher auf ein Gestänge neben der Wanne, um die Tücher zu wärmen. Der Duft von Lavendel und Verbenen lag in der Luft. Plötzlich wurde Livia bewusst, wie schlaftrunken und erschöpft die Lust sie gemacht haben musste. Sie schlug die Decke beiseite und schwang die Füße auf den Boden.
»Du lieber Himmel, ich brauche nichts dringender als ein Bad.« Sie reckte sich, schob das wirre Haar aus dem Gesicht und fragte sich, welcher Wahnsinn sie gepackt hatte, dass sie sich tatsächlich drei Tage lang in dieses Schlafzimmer eingeschlossen hatte, ohne sich für die gewöhnlichen Verrichtungen des Alltags zu interessieren. Verständnislos schüttelte sie den Kopf und stand auf.
»Das Wasser ist jetzt gerade recht, M’lady. Wenn Sie einsteigen wollen«, sagte ein Dienstmädchen.
»Vielen Dank.« Livia zog die Kämme mit den Rubinen aus dem Haar und legte sie vorsichtig auf die Kommode, bevor sie das Collier von ihrem Hals löste. Die beiden Dienstmädchen starrten sie mit aufgerissenen Augen an, als sie den Schmuck ablegte, und Livia konnte es ihnen noch nicht einmal verdenken. Denn sie wusste nur zu gut, welch außergewöhnlichen Anblick sie ihnen bot. »Wie heißen Sie?«, fragte sie, ließ die Armbänder auf den Tisch gleiten und drehte sich wieder zum Bad.
»Doris, Ma’am … und das ist Ethel.«
»Doris und Ethel.« Livia nickte und tauchte die Füße ins Bad. Natürlich war sie es gewohnt, sich selbst zu waschen. Aber heute hatte sie nichts dagegen einzuwenden, dass die beiden Dienstmädchen sich um ihre Haare kümmerten. Doris und Ethel spülten die dunklen Locken mit Essig, damit sie noch mehr glänzten, reichten ihr die Verbenenseife und spritzten Lavendelöl ins Wasser. Als Livia fertig war, breitete Doris ein gewärmtes Handtuch aus, und Ethel trocknete ihr mit einem zweiten Tuch das Haar. Äußerst angenehm, dachte Livia insgeheim, dieses Leben einer Prinzessin.
»Welches Kleid möchten Sie tragen, M’lady?« Doris hatte den Schrank geöffnet und inspizierte den Inhalt.
»Kleid?« Livia erschrak, als ihr bewusst wurde, dass sie keine Ahnung hatte, welche Kleider im Schrank hingen. Abgesehen von der roten Reisekleidung, mit der sie angekommen war. Sie konnte sich nicht erinnern, im Pfarrhaus einen Koffer gepackt zu haben. Das wäre noch zu entschuldigen gewesen. Trotzdem hätten Nell und Ellie sie ruhig ermahnen dürfen. Aber vielleicht hatten die beiden
Weitere Kostenlose Bücher