Verführerische Maskerade
Leistung. Die Röcke der Herzogin müssen … ah, da sind sie schon.« Sie winkte mit dem Fächer, um ihren Mann auf sich aufmerksam zu machen.
Harry führte seine Tante, die Herzogin von Gracechurch, durch die Menge zu Livia und Alex. Was für ein ungewöhnlicher Anblick, dachte Livia und riss die Augen auf. Ihre Hoheit trug einen Reifrock mit breiten seitlichen Körben. Die Hochfrisur bestand aus einer weiß pomadisierten Perücke mit kompliziert gedrehten Locken, in der vier gefährlich wippende Straußenfedern steckten. Zu ihren besten Zeiten mochte sie eine kleine und wohl auch stämmige Lady gewesen sein; an diesem Nachmittag ähnelte sie eher einer spanischen Galeone unter vollen Segeln.
Die Herzogin hob die Lorgnette und musterte Livia eindringlich. »Will mir nicht in den Kopf, warum Sie nicht zur rechten Zeit vorgestellt worden sind«, behauptete sie. »Ihre Mutter hat Harford geheiratet, nicht wahr? Tadellose Verbindung. Tadellos, in der Tat. Die Harfords sind mit William dem Eroberer zu uns gekommen, wenn ich nicht irre.« Die alte Dame schüttelte den Kopf. Livia und Cornelia hielten den Atem an, weil sie plötzlich Angst hatten, dass der gesamte Palast über ihnen einstürzen könnte. Wie durch ein Wunder geschah nichts.
Livia wollte sich gerade höflich verteidigen, dass ihre Mutter nur deshalb ihren Pflichten nicht hatte nachkommen können, weil sie zu früh gestorben war; aber die Herzogin wischte ihren Widerspruch beiseite. »Wie mir zu Ohren gekommen ist, hat Harford sich zu einem Mann der Kirche gewandelt. Merkwürdige Angelegenheit. Für den jüngsten Sohn vollkommen die richtige Wahl. Aber er war der älteste, der Erbe des Grafen … nicht ganz passend. Wo kämen wir hin, wenn jeder seine Pflichten vernachlässigen würde?«, schloss sie und nickte eifrig.
»Allerdings, Euer Gnaden«, murmelte Livia. Sie war Harrys großartiger Tante schon oft begegnet und wusste, dass es besser war, die Lady ungestört zu Wort kommen zu lassen. Es führte zu nichts, sich zu verteidigen oder zu widersprechen.
»Sie haben also einen Ausländer geheiratet, wie zu hören ist«, verkündete die Herzogin und hob die Lorgnette. »Wo steckt er denn?«
»Gleich hier, Ma’am.« Alex trat vor und ließ eine Hand auf seinem Degen ruhen, während er sich tief verbeugte. »Prinz Alexander Prokov, stets zu Diensten.« Ruhig hielt er ihrem Blick stand, während sie ihn examinierte.
Schließlich ließ die Herzogin die Lorgnette sinken. »Russe, nicht wahr? Haben wir Ihnen nicht gerade den Krieg erklärt?«
»Ja«, bestätigte Alex schlicht.
Die Antwort schien die Lady vollkommen aus der Bahn zu werfen. Sie starrte ihn für ein paar Sekunden schweigend an und wandte sich dann an Harry. »Bring mir einen Port, lieber Neffe. Ich bin wie ausgedörrt. Es ist höllisch heiß hier drinnen.«
»Sofort, Ma’am.« Harry zwinkerte Alex zu und suchte nach einem Burschen mit einem Erfrischungstablett.
Die Menge wogte unruhig, als die Doppeltüren geöffnet wurden und eine Gruppe aus dem Empfangszimmer kam. Die Ladys und Gentlemen sahen zumeist erleichtert aus, dass sie die Zeremonie hinter sich gebracht hatten. Der Zeremonienmeister verlas die Liste mit den Namen der nächsten Gruppe. »Ihre Majestät wünscht Prinzessin Prokov und Viscountess Bonham zu empfangen«, intonierte er ganz zum Schluss.
»Dem Himmel sei Dank«, murmelte Cornelia. »Bist du bereit, Liv?«
»Ja«, bekräftigte Livia, »ich hoffe nur, dass ich nicht über die Schleppe stolpere und auf die Nase falle.«
»Natürlich wirst du das nicht«, meinte Cornelia ermutigend.
Livia hob die Augenbrauen und warf ihrem Mann einen viel sagenden Blick zu. Alex lächelte schweigend und folgte ihr, als sie mit Cornelia in Richtung Doppeltüren ging.
Queen Charlotte thronte am entfernten Ende des großen Empfangszimmers. Von den Doppeltüren bis zum Thron musste über einen endlos langen Teppich geschritten werden. Der Kronprinz saß gelangweilt neben seiner Mutter, hatte ein Bein lässig über das andere gelegt und stützte seinen fülligen Körper auf eine Hand, während er sich mit dem Ellbogen auf die vergoldeten Armlehnen seines Throns lehnte.
Livia konzentrierte sich auf ihre Schritte, während sie sich dem Paar auf dem Thron näherte. Sie musste den Kopf hochstrecken und die Augen auf die Königin richten, den Rücken so gerade wie möglich halten und gleichzeitig auf ihre schwingenden Röcke und die Schleppe achten. In der gleichen Haltung ging Cornelia etwa
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