Verführerische Maskerade
das Leben meines Mannes in Gefahr?«
Tatarinov wippte auf den Fußballen hin und her und versuchte, ihre Entschlusskraft einzuschätzen. »Wenn Sie mich erschießen, Prinzessin«, betonte er, »dann schmälern Sie nur die Chancen Ihres Mannes, seinen Entführern zu entkommen.«
»Entführer?«, stieß Livia entsetzt hervor, ohne mit der Pistole zu wackeln. »Wer sollte ihn entführt haben?«
»Madame, wir verschwenden kostbare Zeit …«
»Dann beantworten Sie endlich meine Frage«, schnappte sie, »und zwar schnell. Ich bin mit der Geduld langsam am Ende. Wer hat meinen Mann entführt? Und wohin hat man ihn verschleppt?«
Tatarinov wagte einen Schritt in ihre Richtung. Sofort sprangen die Hunde um seine Fußknöchel herum, kläfften und schnappten nach ihm. Der Mann trat nach ihnen, machte sie aber nur noch wütender.
»Pfeifen Sie die Hunde zurück«, herrschte er sie an. Unter anderen Umständen hätte Livia sich darüber amüsiert, dass er offenbar mehr Angst vor ein paar Welpen hatte als vor einer Pistole, die auf seine Schulter zielte.
»Setzen Sie sich. Dann werden die Hunde sich beruhigen«, bemerkte Livia. »Solange sie überzeugt sind, dass Sie mich bedrohen, werden sie weitermachen.«
Er fluchte in einer Sprache, die sie nicht verstand, obwohl seine Worte eigentlich in jeder Sprache begreiflich waren. Dann setzte er sich auf einen Stuhl mit gerader Lehne. Sofort ließen die Hunde sich auf ihren Hinterpfoten nieder und machten den Eindruck, als wären sie mit ihrer Arbeit sehr zufrieden.
»Ausgezeichnet, Monsieur Tatarinov. Und jetzt erzählen Sie mir, was hier gespielt wird. In allen Einzelheiten, wenn ich bitten darf, und zwar schnell.«
Tatarinov saß reglos auf seinem Stuhl und beobachtete sie. Nach seiner Erfahrung benahmen Frauen sich gewöhnlich anders. Sie wedelten nicht mit Pistolen herum und hetzen auch keine Hunde auf einen Mann. Frauen wussten, wo sie hingehörten, und sie harrten klaglos an ihrem Platz aus. Schon immer hatte er Vorbehalte gegen Prokovs Frau gehegt. Seit ihrer ersten Begegnung war er der Meinung gewesen, dass sie viel zu selbstbewusst auftrat. Das Benehmen, das sie jetzt an den Tag legte, überstieg allerdings seine schlimmsten Befürchtungen.
»Monsieur, ich warte. Sind die Feinde des Zaren für die Entführung meines Mannes verantwortlich?«
Nun gut, Prinzessin. Wenn Sie unbedingt die Wahrheit hören wollen, dann sperren Sie gefälligst die Ohren auf. »Madame, wenn die Feinde des Zaren Ihren Mann entführt hätten, dann müssten wir uns keine Sorgen machen«, behauptete er. »Prinz Prokov hat daran gearbeitet, den Zaren zu stürzen. Ich glaube, dass Arakcheyevs Geheimpolizei ihn geschnappt hat.«
Er ließ den Blick durch die Bibliothek schweifen. »Wenn ich aufstehe und mir aus der Flasche dort drüben einen Wodka einschenke, werden diese Kreaturen mich dann wieder angreifen?«
Livia senkte die Pistole, ging hinüber zur Anrichte und brachte ihm die Flasche. »Wer ist dieser Arakcheyev?«
»Der Zar hat ihn an die Spitze des Kriegsministeriums berufen.« Tatarinov setzte die Flasche an und trank einen kräftigen Schluck. »Außerdem kontrolliert er die Geheimpolizei.«
Allein beim Klang des Wortes rann Livia ein Schauder des Entsetzens über den Rücken. Alex hatte sie also offenbar getäuscht, als er ihr hatte weismachen wollen, dass er dem Zaren treu verbunden war. Aber darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern. Im Grunde genommen war es nicht wichtig, welche Seite ihren Mann gefangen hielt. »Wie können wir Alex aus der Gefangenschaft befreien?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie ihn nach Russland verschleppen werden«, erklärte Tatarinov. »Hier können sie ihn nicht foltern.« Er bemerkte, dass ihr das Blut aus den Wangen wich. Aber sie rührte sich nicht, sondern behielt ihn fest im Blick, und die Pistole lag ihr noch immer ruhig in der Hand.
»Mit Sperskov ist es eine andere Sache. Er ist nicht eng mit dem Zaren befreundet. Was sie ihm angetan haben … nun, das haben sie ihm angetan. Wahrscheinlich hat er Prinz Prokov verraten.« Wieder trank er einen Schluck aus der Flasche. »Kann es ihm noch nicht einmal vorwerfen. Er muss sogar ziemlich lange durchgehalten haben, wenn sie erst heute Nachmittag aufgetaucht sind, um den Prinzen zu entführen.«
»Ich begreife kaum, was Sie mir erzählen«, meinte Livia. »Wer ist dieser Sperskov?«
»Ein Mitglied unserer kleinen Bruderschaft«, erläuterte Tatarinov knapp. »Unserer Sache treu ergeben.
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