Verführerische Maskerade
beschließt nach einem einzigen Blick auf eine wildfremde Frau in einem Ballsaal, sich an ihre Fersen zu heften.«
»Ist alles schon vorgekommen«, entgegnete Aurelia lächelnd. »Wie dem auch sei, dir scheint das Spiel zu gefallen.«
»Ja, ich glaube auch«, bestätigte Livia. »Selbst wenn es so ist, es schadet ja niemandem. Und falls mir die Lust daran vergeht, kann ich der Angelegenheit jederzeit einen Riegel vorschieben.« Sie erhob sich abrupt. »Und das erinnert mich daran, dass … jetzt wo du wieder zurück bist, könnten wir zu einer Ausfahrt in die Oper einladen und vorher ein kleines Dinner arrangieren. Es ist langsam an der Zeit, dass wir uns dafür bedanken, wie freundlich wir in der Gesellschaft aufgenommen worden sind. Meinst du nicht auch?«
»Ganz bestimmt«, bestätigte Aurelia. »Sollen wir den Prinzen auch einladen?«
»Warum nicht?«, erwiderte Livia, und wieder funkelten ihre Augen verschmitzt, »ich muss doch nicht immer das Mäuschen spielen … warum nicht mal Katze sein?« Mit eifrigen Schritten verließ sie das Empfangszimmer.
Aurelia schüttelte den Kopf. Um ihre Lippen spielte ein Lächeln, während der Schatten des Zweifels über ihre Züge huschte. In den vergangenen Monaten hatten sich genügend Verehrer bei Livia vorgestellt, und Aurelia wusste, dass es sogar mehrere Heiratsanträge gegeben hatte. Liv hatte allerdings niemanden ernsthaft in Erwägung gezogen, obwohl sie immer behauptet hatte, dass sie nicht nach der großen Liebe oder einer einträglichen Partie suchte. Sie wollte nur sichergehen, dass sie Kinder bekommen und ein auskömmliches Dasein mit ihnen führen konnte. Aber insgeheim war Aurelia sich sicher, dass ihre Freundin mit einem solchen Leben doch nicht zufrieden sein würde, dass sie mehr brauchte … niemals würde sie sich auf einen Mann einlassen, der sie nicht im Innersten erregte. Und jetzt sah alles danach aus, als hätte dieser geheimnisvolle russische Prinz einen Eindruck auf sie gemacht, wie es außer ihm noch niemandem in der Londoner Gesellschaft gelungen war.
Nachdenklich strich Aurelia mit den Fingerspitzen über ihre Lippen. Livia war weder naiv noch dumm. Sie war in der Lage, selbst auf sich zu achten und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Trotzdem, so beschloss Aurelia, konnte es nicht schaden, die Verhältnisse des Prinzen genauer unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht konnte Cornelias Ehemann Viscount Bonham etwas herausfinden. Harry verfügte über Beziehungen in London, die bis in die höchsten politischen und diplomatischen Kreise hineinreichten. Das galt auch für die Gesellschaft, und mit Sicherheit verstand er es, die richtigen Fragen zu stellen.
Aurelia beschloss, Cornelia sofort zu schreiben. Schließlich gab es vieles, was sie dringend erfahren musste. Außerdem legte Nell Wert darauf, stets im Bilde zu sein.
Alex hatte keine Ahnung, welche Spekulationen er im Haus am Cavendish Square ausgelöst hatte, und ritt gedankenverloren zum Hyde Park Corner. Das Porträt der Frau über dem Kamin hatte alle Vorstellungen verdrängt, die er über die Jahre mit sich herumgetragen hatte. Bisher hatte er sie nur auf Miniaturbildern sehen können, und jetzt erst merkte er, wie wenig er ihr gerecht geworden war. Die Frau auf der großen Leinwand schien ihn mit einem wissenden Blick aus ihren saphirblauen Augen unverwandt anzustarren, wie er erschrocken festgestellt hatte. Es war, als ob ein inneres Leuchten ihre Haut elfenbeinfarben schimmern ließ, und ihre Haltung wirkte gefasst und beinahe gebieterisch. Sophia Lacey strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das er niemals erwartet hätte, gemessen an den spärlichen Informationen, die er von seinem Vater über sie erhalten hatte.
Die vertraute Mischung aus Wut und Schmerz durchflutete Alex, als ihm einmal mehr bewusst wurde, wie wenig sein wortkarger Vater über sie preisgegeben hatte. Man hatte ihm kaum mehr als die dürftigsten Fakten über seine Geburt mitgeteilt, ihm aber keinerlei Auskünfte über all die Gefühle gegeben, die jene Fakten vielleicht in einem milderen Licht hätten erscheinen lassen. Allerdings war sein Vater vor sieben Jahren verstorben. Welchen Sinn sollte es also machen, die Vorwürfe gegen ihn noch weiter zu nähren, einsam und verlassen wie ein kleines Kind? Allein wegen der Politik und seines Dienstes für Zar Alexander I. war er die sieben langen Jahre in Russland geblieben. Aber dann hatte sich endlich die Gelegenheit geboten, Antworten auf jene Fragen zu finden, auf
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