Verführerische Maskerade
hier vor sich geht, wenn wir niemanden mehr vor Ort haben? Die Engländer sind verschlagene Kreaturen. Sie schauen dich an und lügen dir ins Gesicht, ohne mit der Wimper zu zucken. Zwei Sekunden später schließen sie dich in die Arme wie den engsten Verbündeten. Wer soll noch ein Auge haben auf diese Truppe? Ich wüsste es wirklich gern.« Wütend linste er seinen Gastgeber über den Rand des Glases an.
Alex zuckte die Schultern. »Komm schon, Michael, du bist doch nicht hergekommen, um mir solche Fragen zu stellen. Du bist hier, um dir deinen Verdacht bestätigen zu lassen … stimmt’s?«
»Dann hältst du dich wegen des Zaren in London auf?« Der Prinz machte kurzen Prozess.
»Und wenn es so wäre?« Alex setzte sich auf das Sofa und lud seinen Besuch ein, auf dem Sofa gegenüber Platz zu nehmen.
Der Gast setzte sich ebenfalls und starrte Alex an. »Alex, du bist Soldat. Und kein Diplomat.«
»Schlimm genug, mein Freund«, erwiderte Alex mit hochgezogenen Brauen, »denn ich bin überzeugt, dass ich zu beidem fähig bin. Das scheint auch für unseren Kaiser zu gelten.«
»Aber die Engländer haben keine Ahnung, dass du aus diesem Grund eingereist bist?«
Alex lachte. »Wohl kaum, Michael. Das wäre uns nicht dienlich. Ich bin wie ein bunter Schmetterling auf dem gesellschaftlichen Parkett, ein Glücksritter, der nichts im Sinn hat als Karten und Würfel, Flirts und hin und wieder vielleicht eine kleine Verführung. Theater, Oper, Konzerte, Empfänge und Bälle … Kurz und gut, ein Mann, der nichts als Frivolitäten im Kopf hat. Und wer weiß, vielleicht nehme ich eines Tages sogar eine hübsche, ehrbare Engländerin zur Frau. Sie wird die perfekte Gastgeberin sein, und die gesellschaftliche und politische Elite der Stadt wird scharenweise in meinen Salon strömen.« Seine blauen Augen strahlten amüsiert und suchten den dunkleren Blick seines Gastes. »Wie würde dir die Tarnung gefallen?«
Der Prinz nickte bedächtig. »Sie würde dir auf jeden Fall tadellose Empfehlungsschreiben einbringen. Hast du bereits Kontakte zum Hof geknüpft?«
Alex schien sich noch prächtiger zu amüsieren. »Falls es so wäre, mon ami, würde ich es dir garantiert nicht auf die Nase binden.«
Michael funkelte ihn einen Moment lang wütend an, warf den Kopf zurück und brach dann in tiefes Gelächter aus. »Nein … nein, das würdest du natürlich nicht. Wie dumm von mir, dich aushorchen zu wollen.« Er leerte sein Glas, stellte es ab und erhob sich. »Nun, Alex, ich möchte deine kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Vergiss bitte nicht, falls du jemals den Rat eines erfahrenen Staatsmannes brauchst, ich bin immer für dich da.« Er streckte ihm die Hand entgegen.
Alex begleitete ihn zur Tür und schloss sie leise hinter ihm. Ein paar Sekunden lang blieb er im dämmrigen Flur stehen. Der Zar hatte es tatsächlich gewagt, ihm Michael auf den Hals zu hetzen, um ihn überwachen zu lassen. Ihn, Alexander Prokov, seinen besten Freund und engsten Vertrauten. Auch das Vertrauen des Zaren kannte offenbar Grenzen.
Aber wenn er ehrlich war, konnte er dem Kaiser keinen Vorwurf machen. Die Vermutung lag nahe, dass das Ministerium für Innere Sicherheit die Überwachung angeordnet hatte. Allerdings wurde seine Arbeit dadurch nicht leichter. Michael war ein alter Narr, der sich darin gefiel, beim geringsten Anlass aus der Haut zu fahren und zu toben. Doch an seiner Loyalität gab es nicht den geringsten Zweifel. Denn er hielt in unverbrüchlicher Treue zum Zaren, genau wie zu Mütterchen Russland, für ihn ohnehin nur zwei Seiten derselben Medaille. Aus seiner Sicht war es so, dass der Zar Mütterchen Russland geradezu verkörperte, und beide waren für ihn unfehlbar.
Den Rest des Tages beschäftigte Alex sich mit angenehmeren Dingen. Er rief nach Boris, der ihm Hut und Handschuhe brachte, und ein paar Minuten später spazierte er in Richtung Piccadilly zum Laden von Rundell & Bridge.
Nachdem er sich namentlich zu erkennen gegeben hatte, bat ein diskreter Herr ihn in die abgeschirmte Kammer hinter dem Ladengeschäft. Dort wurde er Mr. Bridge vorgestellt, einem würdevollen Gentleman in schwarzem Mantel und schwarzer Weste. Der Mann erhob sich von seinem massiven Schreibtisch, um Alex zu begrüßen. »Es ist mir eine Ehre, Prinz Prokov. Wie kann ich Ihnen dienen?«
Alex ließ die Edelsteine erst in die Handfläche gleiten und dann auf das weiche Tuch auf dem Tisch. »Ich habe durchaus Vorstellungen, wie das Material
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