Verführerische Maskerade
gesessen.
Konnte es sein, dass die vergangenen Monate ihr Herz kaum verändert hatten? Verstohlen beobachtete sie die Haushälterin, die die Pastete in den Steinofen schob, in dem auch das Brot gebacken wurde. Martha benahm sich so, als wäre Livia immer noch das junge Mädchen, das ihr fröhlich geholfen hatte, die Orangen zu schälen, weil sie Marmelade kochen wollte.
Was um alles in der Welt würde Martha zu Prinz Prokov sagen?
»Und was führt Sie so plötzlich zu uns, Lady Liv?« Martha setzte sich an den Tisch und rieb sich die Hände an der Schürze ab. »Nichts Schlimmes, hoffe ich.«
»Nein, so schlimm ist es nicht.« Livia wischte die Schüssel mit dem letzten Bissen Brot aus. »Haben Sie noch eine Flasche von Ihrem Holunderwein, Martha? Ich würde gern einen Schluck trinken.«
Martha lachte. »Den Wein haben Sie schon immer geliebt. Ja, ich glaube, von der letzten Ernte ist noch eine einzige Flasche übrig geblieben.« Sie erhob sich schwerfällig und ging in die Speisekammer. »Aye, hier ist sie.« Mit der Schürze wedelte sie den Staub von der Flasche.
»Machen Sie mir doch die Freude und trinken Sie ein Glas mit mir«, lud Livia die Haushälterin ein und stellte die Suppenschüssel in das Waschbecken.
»Recht gern«, erwiderte Martha gemütlich und stellte die Flasche auf den Tisch. »Sie könnten schon mal einschenken, während ich mich um die Pastete kümmere.« Sie machte sich an dem Ofen zu schaffen und fragte beiläufig: »Dann gibt es also etwas zu feiern?«
»Das will ich hoffen«, antwortete Livia und schenkte den Wein in zwei dickwandige Becher. »Ich werde nämlich heiraten, Martha.«
»Du lieber Himmel.« Mit der Pastete in den Händen drehte Martha sich um und lächelte über das ganze Gesicht. »Nun, das ist die beste Nachricht, die ich seit vielen Monaten gehört habe, meine Liebe. Und wer ist der Glückliche?« Sie stellte die Pastete vor Livia auf den Tisch und ergriff ihren Becher.
»Alexander Prokov«, erklärte Livia und stach mit der Gabel in die duftende Speise.
»Klingt ausländisch«, bemerkte Martha und setzte sich wieder. »Aber ich möchte meinen, dass es in einer Stadt wie London viele Ausländer gibt.«
»Das scheint mir auch so«, meinte Livia beiläufig, »er wird übermorgen hier eintreffen, um mit Vater zu sprechen. Ich dachte, wir könnten ihn im blauen Zimmer einquartieren, wenn wir es morgen durchlüften.«
»Er wird also über Nacht bleiben?«
»Ja, das wird er. Falls Vater zustimmt«, bestätigte Livia, »sofern wir verlobt sind, gibt es keinen Grund, weshalb er nicht unter dem Dach meines Vaters übernachten sollte.«
»Richtig«, bekräftigte Martha, »auf Sie, meine Liebe. Auf ein langes, glückliches Leben.« Sie prostete ihr zu. »Ich bin mir sicher, dass es Ihnen gelingen wird, den Reverend mit dem Gedanken an einen Ausländer vertraut zu machen.«
Livias Brauen zuckten. Martha klang nicht sonderlich überzeugt. Aber schließlich war ihr Vater ein kluger und gebildeter Mann, der weit in der Welt herumgekommen war. Es würde ihm nicht einfallen, ungerechte Vorurteile gegenüber dem Mann zu hegen, der um die Hand seiner Tochter anhielt, nur weil er aus dem Ausland stammte.
Dennoch hatte sie große Mühe, ihre Angst zu verbergen, als sie in sein Arbeitszimmer zurückkehrte. Er stand vor dem kalten Kamin und hatte die Hände tief in die Taschen seiner Kniehosen gestopft, die in Livias Augen dünn und abgewetzt wirkten. Natürlich schenkte er seiner Bekleidung so wenig Aufmerksamkeit wie den Speisen auf seiner Tafel. Ihr Herz wollte einen Schlag lang aussetzen, als sie ihren Vater unwillkürlich mit der tadellosen Erscheinung des Prinzen Prokov verglich.
»Nun, was hast du mir zu sagen, mein liebes Kind?«, fragte er und lugte mit scharfem Blick aus den buschigen Brauen hervor. »Oder soll ich raten?«
»Meinst du, du könntest es erraten?« Sie setzte sich auf die Lehne eines Sessels.
»Im Grunde genommen gibt es nur wenig, was dich bewegen könnte, ohne Ankündigung nach Hause zu kommen«, begann Reverend Lacey. »Es könnte sein, dass du in Ungnade gefallen bist. Oder dass die Quelle finanzieller Unabhängigkeit, die Sophia Lacey dir vererbt hat, nun versiegt ist. Oder du hast beschlossen zu heiraten und besitzt die Güte, mich darüber in Kenntnis zu setzen, bevor der Rest der Welt es erfährt.«
»Nie würde ich zulassen, dass du zuletzt davon erfährst«, sagte sie leise und war gekränkt, dass er sich offenbar ernsthaft vorstellen konnte,
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