Verführerische Unschuld
Dunklen, Ihnen ausgeliefert, und Sie könnten nach Belieben mit mir verfahren. Aber Sie tun nichts als zu reden.“
Mit einem Griff zog er sie an sich, hob ihr Kinn an und berührte mit seinen Lippen sanft die ihren, dabei murmelte er: „Und nun ist genug geredet, öffnen Sie den Mund, damit ich Sie besser küssen kann.“
Überrascht setzte sie an zu fragen, was er vorhabe, doch er schnitt ihr das Wort ab, indem er die Lippen auf die ihren presste und es ihr zeigte.
Sie konnte sich nicht von ihm lösen, denn er hatte eine Hand in ihrem Haar vergraben, aber sie hätte es gar nicht gewollt, sondern gab sich ganz seinem Kuss hin. Sehnsüchtig presste sie sich noch enger an ihn und schob ihre bloßen Arme unter seinen Abendfrack, wo die Hitze seines Körpers sie wärmte, während sie seine Küsse leidenschaftlich erwiderte.
Unvermittelt stieß er sie von sich und ließ sie los. „Wie ich mir dachte, völlig unerfahren.“
„Was … was habe ich falsch gemacht?“ Sie zupfte ihn am Ärmel, doch er schob ihre Hand fort. „Sie könnten mich lehren …“
Er schnaufte verächtlich. „Wenn ich den Lehrer spielen wollte! Aber ich ziehe eine Frau vor, die weiß, worum es geht. Sich den ungeschickten Händen eines unreifen Mädchens überlassen, zartfühlend und sanft seinen Stolz und seine Empfindsamkeit beachten? Es in die Geheimnisse einweihen? Wenn ich im Bett gelangweilt werden möchte, werde ich um die Hand einer Jungfrau anhalten. Zurzeit jedoch, liebste Esme, verlangt mich nach etwas, das du mir kaum bieten kannst. Geh, heirate einen der jungen Stutzer, die sich drüben im Ballsaal tummeln. In ein paar Jahren, wenn ihr einander gründlich überdrüssig seid und du erfahrener bist, dann komm zu mir. Jetzt aber lass mich bitte in Frieden.“
Vorher hatte sie gezittert, weil sie fror, nun fuhr ihr einem Strom eisiger Kälte gleich die Scham durch alle Glieder. Sie drehte sich um und rannte ins Haus, weit, weit weg von dem Mann auf dem Gartenpfad.
Radwell wartete, dass die wilde Lust, die ihn erfasst hatte, abflaute. Leise seufzend hatte Esme sich an ihn gedrängt, er glaubte noch ihre Lippen zu spüren … alles wäre möglich gewesen. Er schloss die Augen und sagte: „Bestimmt hast du alles gesehen.“
Die Schritte, die daraufhin zu hören waren, stammten von seinem Bruder, der nun auf dem Pfad neben ihm auftauchte. „Natürlich. Du wusstest doch, dass ich hier bin. Schließlich gingen wir gemeinsam aus dem Haus.“
„Aber du hättest uns allein lassen können; stattdessen hast du hinter den Büschen hervor beobachtet, wie ich sie küsste. Bist du ihr Tugendwächter oder ein Voyeur?“
Eigentlich rechnete er damit, dass Marcus aufbrauste, aber der sagte nur: „Ich vertraute darauf, dass du genau das tust, was wir von dir verlangt haben.“
Radwell funkelte seinen Bruder an, dessen Miene im nächtlichen Dunkel nicht zu erkennen war. „So, du vertrautest mir … aber nicht genug, um mich mit ihr allein zu lassen.“
Als Marcus antwortete, klang er müde. „Angesichts deiner Vergangenheit erwartest du wohl kaum sofortiges Vertrauen.“
Seufzend entgegnete Radwell: „Wahrscheinlich hätte ich überhaupt kein Vertrauen erwarten dürfen. Aber ich nehme an, ich habe Mirandas Wunsch erfüllt. Ich habe dem Mädchen das Herz gebrochen – ein klein wenig. Werde ich nun fortgeschickt, da ich meinen Zweck erfüllt habe?“
Marcus schwieg lange, und Radwell wappnete sich. Es wäre nicht gut, sich allzu betroffen zu zeigen.
Doch Marcus zuckte die Achseln. „Meinetwegen kannst du bleiben, solange du das Mädchen in Ruhe lässt.“
Radwell stand wie gebannt. Sein Bruder hatte nichts dagegen, wenn er hierblieb? Das war immerhin nicht offene Abneigung oder gar Abweisung, wie er sie bisher gekannt und erwartet hatte, und vorhin, ehe Esme dazwischengekommen war, hatten sie sich sogar beinahe normal miteinander unterhalten. Vielleicht konnte man doch noch auf ein besseres Einvernehmen hoffen. „Glaub mir, ich beabsichtige nicht, die Dame zu belästigen, und ich hoffe sehr, dass sie endlich genug von mir hat.“
Aber so recht war er nicht davon überzeugt; wahrscheinlich würde sie ihn noch gewaltig plagen, wenn er nicht abreiste.
„Du kennst die Regeln und scheinst dich daran halten zu wollen, also tu, was du willst“, sagte Marcus.
Ironisch lächelnd antwortete Radwell: „Ich soll tun, was du willst, meinst du wohl.“
„Wenn es dir gelingt?“
„Ich denke schon. Deine Vorschriften weichen nicht von
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